Der Mann im Park: Roman (German Edition)
Nominiert für die Olympiamannschaft für Amsterdam 1928. Große Erwartungen für die Zukunft. Verein: IK Fart, Stockholm.
Vorsichtig schob Stierna den Umschlag mit der Karte wieder in seine Innentasche.
Er kannte Billström. Das große Talent, das bei den Qualifikationswettkämpfen im Stadion überrascht hatte, sich aber eine Woche später das Knie verletzt hatte und Ende Juli nicht mit zu den Olympischen Spielen nach Amsterdam hatte fahren können. Darüber hatte viel in den Zeitungen gestanden, Billström hatte dem Pech ein Gesicht gegeben. Aber er war noch jung und würde an anderen Olympischen Spielen teilnehmen können.
»Wollen wir wieder ins Wohnzimmer gehen?«, fragte Stierna.
»Ja, das können wir gern«, nickte Maria Bengtsson.
Der Kommissar setzte sich in den Sessel, genau wie beim ersten Besuch. Maria Bengtsson saß auf dem Sofa.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Kaffee oder einen Tee?«
»Nein, danke. Das ist nett, aber das ist nicht nötig. Sie haben also die Karte in einem Buch gefunden?«, fragte er noch einmal nach.
»Ja. In einem Märchenbuch. Das war eines ihrer Lieblingsbücher, ›Geschichten für Kinder‹.«
»Geschichten für Kinder«. Stierna kannte es selbst aus seiner Kindheit. Seine Eltern hatten ihm daraus vorgelesen. Zacharias Topelius’ Märchenbuch.
»Soll ich es holen? Das Buch?«
»Ja, gern«, sagte Stierna.
Maria Bengtsson ging ins Schlafzimmer. Stierna schloss die Augen. Zum ersten Mal an diesem Tag spürte er, wie ihn die Müdigkeit überfiel.
Maria Bengtsson kam zurück und reichte ihm das Buch, bevor sie sich wieder aufs Sofa setzte.
Das Buch war nicht besonders dick und fast quadratisch. Auf dem Umschlag ging eine junge Frau in einem langen roten Kleid durch einen schönen Garten. Die Schleppe des Kleides war so lang, dass vier Frauen und vier Männer nötig waren, um sie zu tragen. Die junge Frau trug ein schönes Diadem mit einer glänzenden Perle in der Mitte. Im Hintergrund vor einem Tor waren ein Mann und eine Frau mit Krone zu erkennen. Ein König und eine Königin.
Stierna blätterte in dem Buch, schaute sich die Illustrationen von Albert Engström, Acke Andersson und den anderen an. Als er klein war, hatte er dieses Buch so gern gemocht, genau wie Ingrid.
Er klappte das Buch zu und legte es vor sich auf den Tisch.
»Sie haben das Bild also heute Abend erst gefunden?«
»Ja«, bestätigte Maria Bengtsson. »Kurz bevor ich Sie angerufen habe.«
Stierna lehnte sich in dem Sessel zurück. Wo kauft man diese Bilder?, fragte er sich. Hier und da. Åhlén & Åkerlunds Serie schwedischer Rekordhalter war ein Verkaufsschlager. Die Karten kosteten fünf Öre das Stück, Stierna hatte sie selbst häufiger gesehen. Bei Zigarettenhändlern, in den großen Kaufhäusern, in fast jedem Papierwarenladen. Auf den Karten waren vorwiegend Leichtathleten abgebildet. E. Lundquist, Speerwerfen. E. Lindblad, Stabhochsprung. S. Pettersson, 400 Meter Hürdenlauf. S. Johansson, Diskuswerfen. Schwedische Rekordhalter.
Ingrid Bengtsson hatte eine Karte mit E. Billström gehabt, 800 Meter Schnelllauf. Ein junger, vielversprechender Läufer. Ein Mann, dem die Zukunft gehörte.
»Haben Sie eine Idee, wer ihr die gegeben haben kann?«, fragte Stierna.
»Nein«, sagte Maria Bengtsson. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Und Sie schließen aus, dass sie die Karte selbst gekauft hat?«
»Da bin ich mir ziemlich sicher. Sie war an Leichtathletik nicht interessiert. Sie kann die nicht gekauft haben.«
Stierna schaute aus dem Fenster. In die Dunkelheit, auf die Häuser auf der anderen Straßenseite.
»Kann einer aus ihrer Klasse ihr die Karte gegeben haben? Sonst jemand, den Sie kennen?«
»Vielleicht, das ist schon möglich.«
»Wir brauchen Ihre Fingerabdrücke. Um sehen zu können, wer außer Ihnen das Bild angefasst hat. Um zu sehen, wie viele …«
»Meine Fingerabdrücke?«
»Ja. So bald wie möglich. Am besten gleich morgen früh.«
Ingrids Abdrücke haben wir ja bereits, dachte Stierna. Högstedt hatte sie vor der Obduktion genommen. Die Frage war, wie viele die Karte angefasst hatten. Ingrid und Maria Bengtsson, Freunde von Ingrid. Der Verkäufer in dem Laden, in dem die Karte verkauft worden war. Vielleicht der Mörder.
Högstedt würde das Bild morgen bekommen. So früh wie möglich.
»Führte Ingrid Tagebuch?«
»Sie hat gern geschrieben, aber Tagebuch … nein.«
»Sind Sie sich sicher?«
»Ziemlich sicher. Hätte sie das getan, sie
Weitere Kostenlose Bücher