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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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bringen will und lasse mich doch gern darauf ein. Beraten, ob man sich lieber für grün oder für orange entscheiden sollte, flanieren abwechselnd mit dem einen und mit dem anderen, entscheiden uns schließlich für einen in hellblau, schlendern lachend weiter, mimen Gene Kelly in der berühmten Regenschirm-Szene: »Singin’ in the rain«. Nur mit guter Laune kann die Wirklichkeit ertragen werden.
    Abendessen bei den Chambers’. Man hat mich wie einen dritten Sohn aufgenommen. Kein Wort mehr von Unmöglichkeiten und weißer Hautfarbe. Große Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Und ein Toast auf meinen Geburtstag: »May all your dreams come true, especially the impossible ones.« Ein schöner Wunsch, in seiner Unerfüllbarkeit vielleicht typisch für dieses Land und den sprichwörtlichen »American Way«.
    Typisch amerikanisches Abendessen mit den für einen Europäer gewöhnungsbedürftigen Kombinationen: Als Vorspeise ein kleines Stück Truthahn mit süßen Kartoffeln und einer Art Marmelade und als Hauptgericht Prime Rib of Beef - ähnlich unserem Roastbeef - mit süßem Yorkshire Pudding, dazu nicht etwa Wein, Bier oder Wasser, sondern dünnen Kaffee, Wodka, Cola oder Longdrinks.
    Junius’ Vater will viel über Europa wissen. Über die bei uns stationierten amerikanischen Soldaten, über den Bombenkrieg, den Wiederaufbau, über meine Musik, meine Familie. Leicht, fast nebenher, wie selbstverständlich die Frage nach Rassismus in Europa, insbesondere in Deutschland und meine etwas verkrampfte Suche nach einer Antwort. Spüre Vorurteile.
    Erwähne etwas schüchtern und so zurückhaltend wie möglich meine Verwunderung über die Rassentrennung in Amerika, die bei uns inzwischen undenkbar wäre, die Trinkbrunnen, die Toiletten, die abgegrenzten Wohnviertel, Little Rock. Und die Schlägerei, die mir immer noch tief auf der Seele lastet. Ernte nur Erstaunen. Ähnliche Antworten, wie sie mir auch Adrianne gegeben hat: Geschichtlich gewachsene Strukturen, Floskeln vom freien Land -
und wer gut genug ist, der wird sich über die Schranken schon hinwegsetzen. Man müsse eben mindestens doppelt so gut sein wie ein Weißer. Schon wieder das Klischee. Mit Rassismus bringt man das alles offenbar nicht in Verbindung. Rassismus, das ist etwas, das in Deutschland existierte und dort vielleicht immer noch existiert. Rassismus, das ist »Herr Hitler« und wie sie alle heißen. Nichts, was in den USA ein echtes Problem sei. Trotz Little Rock. Und Little Rock ist ja auch so weit weg! Und Ärger kann’s natürlich überall mal geben. Die typische »Don’t worry«-Mentalität dieses Landes. Man übt sich nicht in ständiger Betroffenheit wie bei uns.
    Was auch immer in diesem Land zur Zeit vorgehe, es sei jedenfalls kein Grund zur Beunruhigung. Man habe alle Möglichkeiten. Unverhohlener Stolz auf das Erreichte, die Wohnung in einer der besseren Straßen des Stadtteils, die beiden studierenden Söhne, den eigenen Beruf im öffentlichen Verkehrssystem New Yorks. Und überhaupt auf ganz Amerika. »Glory, glory hallelujah!«
    Werde beim Wein, den es nach dem Essen doch noch gibt, in die faszinierenden Geheimnisse des »A-Train« eingewiesen, der sich durch ganz Manhattan zieht. Signale, Weichen, der rhythmische Klang der Schienen, die Geräusche, an denen Junius’ Vater jede noch so kleine Gefahr, jede mögliche Fehlerquelle sofort erkennt. Leuchten in seinen Augen. Sein A-Train scheint für ihn von einer in dieser Welt sonst unerreichten Vollkommenheit zu sein, beinahe anbetungswürdig. Nicht erst seit Duke Ellington ihn mit seinem Song: »Take The A-Train« berühmt gemacht hat.
    Sitze mit Junius noch ein paar Minuten auf dem engen Balkon vor Junius’ Zimmer. Zwei Stühle, ein winziger Tisch. Blick auf backsteinfarbene und graue Hinterhöfe, Dächer mit den eigentümlichen New Yorker Wasserkesseln, wie etwas unförmig dicke, kurze und stumpfe Bleistifte auf seltsamen Stahlgestellen auf jedem Haus montiert. In den besseren Gegenden von Dachkonstruktionen kaschiert, hier natürlich freistehend, leicht verrostet. Die Dächer glitzern gespenstisch im Abendlicht. Eine ganz andere Skyline als jene, die man von den Postkarten und Photos kennt.
    Seltsam weiße Abendstimmung, in der Konturen verwischen. Nach Sonnenuntergang wird es schon merklich kühl. Der Herbst hält langsam Einzug in diese Stadt. Merkwürdige Stille. Irgendwo, ganz weit weg, ganz leise der Lärm der Stadt, Verkehr, Sirenen,
beinahe vom Rauschen und Summen der auf den

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