Der Mann mit dem Fagott
Hand.
»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.« Und gleich: »Entschuldigen Sie mich bitte. Ich möchte gern auch Udos Kollegen begrüßen. Ich wünsche Ihnen noch einen wunderschönen Abend und viel Vergnügen!« Und zu mir gewandt: »Bis später dann!«
Es tut mir leid, sie so gehen zu lassen, aber ich werde bestimmt später eine Gelegenheit finden, es ihr zu erklären.
Meine Eltern bieten mir an, Patsy, die sichtlich Eindruck auf sie gemacht hat, an unseren Tisch zu bitten. Ich wiegle ab, »später vielleicht«, lege ihr Päckchen unauffällig beiseite. Ich möchte es lieber nicht vor meinen Eltern öffnen. Sie fragen nicht nach, denken offenbar schon gar nicht mehr daran.
»Läuft alles gut bei dir?«
»Ja, bestens«, beeile ich mich zu sagen und erzähle begeistert von unserer Stippvisite in München, meinem Triumph im »Studio 15«.
»Siehst du, du darfst nicht ungeduldig werden! Du machst schon deinen Weg!« beteuert mein Vater und sucht mit seinen großen, dunklen Augen fest meinen Blick.
Ich muß wieder auf die Bühne, wenigstens für einen Block oder für zwei. Buddy ist sichtlich froh, daß ich wieder übernehme. Das Lokal hat sich mittlerweile immer mehr gefüllt. Wir spielen »On the Sunny Side of the Street«, einen Jazzklassiker.
Meine Eltern tanzen. Ein fröhliches, schönes Paar. Meine Mutter Käthe ist mit ihren 48 Jahren noch immer eine attraktive Frau, lebensfroh, stark, strahlend. Sie ist ganz in ihrem Element. Fröhliches Lachen aus ihren hellblauen Augen.
Mein Vater Rudolf, genannt Rudi - oder öfter noch »Rudjascha«, dem russischen Kosenamen seiner Kindheit, der ihm bis heute blieb - mit seinen 52 Jahren ein Mann in den allerbesten Jahren, gutgelaunt, die dunklen Haare nach der Art der 20er Jahre streng gescheitelt und nach hinten gekämmt. Seine Körpersprache verrät den einstigen Sportler, dabei wirkt er aber feinfühlig, oft leicht melancholisch und charmant.
Lange schon haben sie mich nicht mehr spielen gehört. Es liegt in meiner Hand, diesen Abend für sie zu einem unvergeßlichen zu machen. Ich stimme »Jealousy« an, einen Tango, bei dem sie so richtig glänzen können. Ich weiß, wie gern sie Tango tanzen.
Ob auch ich eines Tages so völlig eins in vollkommener Liebe und Harmonie mit einer Frau den Tanz des Lebens bewältigen kann? Ich zweifle. Bin zu unruhig in meinem Wesen. Die große Liebe meiner Eltern scheint mir ein aussterbendes Modell in unserer unüberschaubar gewordenen Zeit zu sein.
Mein Bruder Joe trinkt genüßlich von seinem Rotwein. Auch er
fröhlich, entspannt, sieht sich um, hört mir zu, beobachtet unsere Eltern. Die Unterschiede zwischen uns könnten größer kaum sein: Er mit seinen 24 Jahren groß, breitschultrig, mit dichten, schwarzen Locken, den feinen Zügen unserer Mutter, der Figur eines Zehnkämpfers, locker-selbstbewußt im Auftreten, gefestigt.
Ich dagegen dürr, schmächtig, von der Hand in den Mund lebend, in einem Beruf, der in unserer Familie eigentlich in einem Atemzug mit leichtsinnigen Halodris und Verlierern genannt wird. Klassischer Musiker, das würden meine Onkels und Verwandten sicherlich noch gelten lassen, aber Unterhaltungsmusiker, Barpianist und Sänger? Ich möchte mir nicht ausmalen, was für ganz und gar unerfreuliche Diskussionen meine Eltern mit den Verwandten in den vergangenen vier Jahren über mich geführt haben mögen.
Lachen, Tanzen, Swingen, Stimmengewirr, klingende Gläser.
Patsy allein an der Bar. Ihr Päckchen habe ich auf mein Klavier gelegt, auch als Zeichen an sie, daß ich es nicht vergessen habe. Die Studentin nimmt man ihr ab. Sie ist unaufdringlich und schlicht gekleidet, ungewöhnlich für ihren grellen Job. Wir tauschen freundliche, fast zärtliche Blicke aus. Sie scheint nicht böse zu sein, nippt an ihrem Drink. Auch Joe hat sie entdeckt, geht auf sie zu, verneigt sich, führt sie auf die Tanzfläche.
Der Laden ist inzwischen gerammelt voll. Viele Amerikaner. Wir spielen »C-Jam-Blues« und »All Of Me«, in Erinnerung an gestern. Ich bin sicherer geworden, ausdrucksstärker, das spüre ich. Buddy gibt mir mit Gesten zu verstehen, wie sehr er den Teller vermißt. Heute würde er einiges einbringen. Ich gebe ihm recht. Es geht aber nicht. Nicht vor meinen Eltern, meinem Bruder. Jedenfalls nicht, bevor ich mit ihnen darüber sprechen konnte. Buddy gibt mir ein Zeichen, es endlich zu tun. »In der nächsten Musikpause«, raune ich ihm mit einem etwas mulmigen Gefühl zu und habe keine Ahnung,
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