Der Mann mit dem Fagott
sind Sie für die Partei natürlich nicht mehr tragbar.«
Rudi nimmt den Umschlag ohne besondere Gefühle entgegen.
Auf dem Boden neben Brettschneider sieht er ein Paket stehen, das offensichtlich Rudis Namen trägt. Es wurde aufgerissen. Wäsche quillt heraus. Brettschneider folgt seinem Blick. »Ja, das ist vor ein paar Tagen für Sie gekommen. Die Nahrungsmittel haben wir natürlich herausgenommen, aber Wäsche und eine Zahnbürste dürfen Sie behalten.« Er macht keine Anstalten, Rudi das Paket zuzuschieben. »Die Leberwurst von Ihrem Gut schmeckt übrigens ganz besonders köstlich. Die Produkte von Ihrem Hof sind wirklich vorzüglich.«
Rudi starrt ins Leere hinter der Wand aus grellem Licht. Seit Tagen hat er nichts als dünne Suppe und trockenes Brot gegessen. Heute gab es wegen des Alarms seit dem Frühstück noch gar nichts zu essen. Er spürt einen bohrenden Hunger, wie er ihn noch niemals in seinem ganzen Leben gekannt hatte. Er würde jetzt sogar verschimmeltes Brot essen, wenn er nur überhaupt irgend etwas in den Magen bekäme.
Vieles, was ihm selbst im Krieg als selbstverständlich erschienen war, hatte sich in der kurzen Zeit seiner Gefangenschaft radikal verändert, und es war vor allem auch die brutale physische Seite, unter der er litt. Fast noch mehr als unter der geistigen Abstumpfung und der Herausforderung zu begreifen, was hier mit ihm geschah. Seit seiner Einlieferung hatte er sich noch kein einziges Mal rasieren oder duschen dürfen. Er hat sich, wie er selbst findet, innerhalb der vergangenen Woche in ein heruntergekommenes, verwahrlostes, übelriechendes Subjekt verwandelt. Hier, diesem frisch rasierten, sauber gekleideten, korrekt uniformierten, satten und
selbstgerechten Kommissar gegenüber wird sein Zustand und seine Ohnmacht ihm schmerzlich bewußt.
Brettschneider blättert raschelnd in irgendwelchen Unterlagen. Schließlich hält er inne: »Ihre Frau wurde inzwischen in Lüneburg der zuständigen Gestapo-Stelle vorgeführt, und sie hat zu Ihrer Flucht das gleiche ausgesagt wie Sie.« Er hält inne. »Beinahe wortwörtlich!« setzt er mit Triumph in der Stimme nach, als würde das gegen die Richtigkeit von Rudis Darstellung sprechen. Rudi ist erschrocken und erleichtert zugleich.
»Die Kollegen in Lüneburg werden die Verhöre aber fortsetzen. Natürlich wird man auch Ihre Söhne befragen. Zumindest den ältesten. Immerhin ist er alt genug, um zum Volkssturm eingezogen zu werden.«
Rudi zuckt zusammen. So viel Skrupellosigkeit hatte er nicht einmal von der Gestapo erwartet. Mühsam beherrscht er sich, dann erwidert er so ruhig wie möglich: »Es muß schon schlimm um Deutschland stehen, wenn Sie auf die Aussage eines Dreizehnjährigen angewiesen sind.«
Weiter kommt er nicht, denn der Kommissar holt zu einem Schlag mit der flachen Hand aus, die Rudi samt des Holzstuhls zur Seite kippen und zu Boden stürzen läßt. Für einen Augenblick kann Rudi, als er aufsieht, Brettschneiders brutalen Blick sehen.
»Gesicht zu Boden!« wird er sogleich angeschrien. Rudi gehorcht.
Nach einigen Augenblicken hat Brettschneider sich wieder gesetzt.
»Aufstehen! Wird’s bald! - Hinsetzen!«
Rudi richtet den Stuhl auf, setzt sich, tastet nach seiner Lippe. Blutgeschmack auf seiner Zunge.
Der Kommissar gibt ihm ein Taschentuch. »Machen Sie sich sauber. Und überlegen Sie sich Ihre Worte! Wir können auch andere Saiten aufziehen!«
Rudi preßt das Taschentuch an seinen Mundwinkel. Er hört den Kommissar wieder blättern.
»Sie haben sich also bestens mit Ihren Ostarbeitern verstanden, da Sie ja auch deren Sprache sprechen«, stellt Brettschneider fest.
»Ich spreche Russisch, ja. Und ich habe meine Leute immer gut
behandelt, aber daß ich mich ›gut mit ihnen verstanden habe‹ drückt es nicht ganz richtig aus.«
»Und wie kommt es dann, daß Sie auf Ihrem Hof mit soviel weniger Ostarbeitern ausgekommen sind als das auf anderen Höfen der Fall war?« Rudi begreift nicht, worauf Brettschneider hinauswill. »Kann es vielleicht sein, daß Sie ihnen einen russischen Endsieg versprochen und sie damit zu Höchstleistungen angetrieben haben?« stößt Brettschneider schließlich mit dem Kern seiner Frage vor.
Rudi schüttelt den Kopf so besonnen wie möglich. »Natürlich nicht. Ich habe mit meinen Ostarbeitern überhaupt nicht über Politik gesprochen. Es wird mir doch wohl nicht zum Verhängnis gemacht werden, daß ich die Leute gut eingesetzt habe?«
»Das zu beurteilen, überlassen Sie
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