Der Mann mit dem Fagott
schlafen müssen, und er ist froh, daß er wenigstens gut gefrühstückt hat.
Draußen am Gang Unruhe. Schleifende Schritte, Namen, die gerufen und mit einem »Hier!« von irgendwoher beantwortet werden. Türen, die auf- und wieder zugeschlossen werden, und wieder ein Name.
»Was ist denn da draußen los?« fragt Rudi in die Dunkelheit seiner Zelle. »Was sind denn das für Namen, die sie aufrufen?«
»Sei froh, wenn deiner nicht dabei ist«, erwidert einer seiner Mithäftlinge. »Heute stellen die wieder mal einen Transport fürs Konzentrationslager zusammen.«
»Schnauze! Ich will schlafen!« ruft der Reichsdeutsche aus seiner Ecke. Anscheinend ist er der »Zellenälteste« oder Wortführer.
Schlafen, denkt Rudi beklommen. Als ob man hier schlafen könnte … Und er bedauert, seinen Vater nie danach gefragt zu haben, wie er das damals geschafft hat, diese Nächte und Tage zu überstehen - und ob man sich jemals daran gewöhnt.
»Und daß mir niemand scheißen geht!« herrscht der Mann aus der Ecke wieder in die Dunkelheit »Ich will meine Ruhe haben!«
Die Bombe im Hof
Minutenlang das nervöse Heulen von Sirenen. Draußen eilige Schritte. Ein Wärter ruft dem anderen zu: »Schnell! Sie sind schon über St. Veit!« Rudi glaubt, die weichliche hohe Stimme des Wärters zu erkennen, der die Aufnahmeformalitäten mit ihm erledigt hat. Man hört den keuchenden Atem, das Scharren des Laufschritts, Stimmen, die sich entfernen. Auf den Gängen plötzlich gespenstische Stille, und von draußen die Sirenen.
»Wann kommen die denn, um uns in den Keller zu holen?« fragt Rudi besorgt. Es ist der erste Fliegeralarm, den er hier erlebt. Immerhin befinden sie sich im obersten Stock des Gefängnisses.
Sein Mitgefangener Förner lacht. »Glaubst du im Ernst, die machen mit uns so ein Geschiß?« Ein anderer fügt hinzu: »Wir sind ja schließlich keine gewöhnlichen Verbrecher, Mörder, Vergewaltiger, Einbrecher aus den unteren Etagen. Die werden natürlich in die Luftschutzräume gebracht. Aber wir sind nunmal die ›Elite‹, wir sind die ›Politischen‹, wir sind keine Menschen mehr, wir sind Abschaum. Wenn wir draufgehen, wen interessiert’s? Dann sparen sie sich eine Menge Papierkram.« Er zuckt seine Schultern.
Rudi erschrickt. Er kann einfach nicht begreifen, was er da hört. Seit Tagen hält man ihn nun schon hier fest, seit Tagen die Ungewißheit, die Enge, der Hunger, und nun soll er auch noch hier in seiner Zelle im obersten Stock des Gefängnisses bleiben, während Klagenfurt bombardiert wird. Er beginnt, nervös auf und ab zu gehen, immer drei Schritte hin und drei Schritte zurück. Wie ein Tier im Käfig, denkt er. Seit Tagen hat er die Sonne nicht gesehen.
Brettschneider hat ihn seit seiner Einlieferung noch kein einziges Mal zum Verhör geholt, obwohl er doch gesagt hatte, er werde ihn am nächsten Morgen holen lassen, um seine Angaben zu Protokoll zu nehmen. Seither wartet er hier ohne jegliche Nachricht von draußen.
Frühmorgens gibt es eine verwässerte Suppe und eine einen halben Finger breite Scheibe Brot, mittags und »abends« noch mal das gleiche, wobei das Abendessen meistens zwischen 15 und 16 Uhr gebracht wird. Sonntags sogar schon um 13 Uhr. Ansonsten sind sie den ganzen Tag hindurch sich selbst überlassen. Sie haben ein kleines Waschbecken, aber natürlich keine Seife. Und aus der Leitung kommt ohnehin nur eine rostbraune Brühe.
Manchmal wird einer von ihnen zum Verhör geholt. Nicht immer kommt er wieder. Und die Sonne sieht man nur, wenn man sich auf Zehenspitzen auf die Pritsche stellt und durch einen Spalt im Verdunkelungspapier linst …
Drei Schritte hin, drei Schritte zurück. Draußen immer noch das nervöse Heulen der Sirenen. Auf den Gängen gespenstische Stille.
Rudi wundert sich, daß alle seine Zellengenossen sich hingelegt haben. Eigentlich ist es strengstens verboten, sich tagsüber hinzulegen. Manchmal gibt es Kontrollen, und wer erwischt wird, wird mindestens mit Essensentzug bestraft, was hier drinnen eine echte Katastrophe ist.
»Fliegeralarm ist die beste Zeit des Tages, da gibt’s keine Kontrollen«, erklärt ihm Major Prester mit englischem Akzent, ein amerikanischer Funker, der mit dem Fallschirm in Kärnten abgesetzt worden war, um das Gelände und die Stimmung der Bevölkerung auszukundschaften. Er wurde gefunden und verhaftet und sitzt seither in Klagenfurt im Gestapo-Gefängnis.
»Ganz recht, man muß die Stunden dieser Freiheit nutzen«, bekräftigt
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