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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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die später der Splitter eindringen sollte.
    Mischas Beerdigung erlebt Werner wie in Trance. Er kann sich schon Minuten später nur noch an wenig erinnern. An das endgültige Klappern des Holzes, als der Sargdeckel geschlossen wurde, an den lauten Klang der Kirchenorgel oder an Joes Worte irgendwo im Stimmengewirr, zu irgend jemandem gesagt: »Ich hab ihm doch noch ganz genau erklärt, daß all diese Bomben und Granaten und Patronen gefährlich sind!«
    Und an das Gefühl der kalten, nassen Erde in seiner Hand, die er auf den Sarg fallen ließ.
    4. April 1946. Andrej hat das Schlimmste überstanden. Er wird durchkommen. Die ersten Krankenbesuche der Familie. Etwas ratlos, hilflos und mit vielen Geschenken. Ein paar Minuten, in denen Andrej mit Rudis beiden ältesten Buben Joe und Jürgen allein ist. Werner kommt gerade dazu, als Andrej den beiden erzählt: »Wißt ihr, ich hab das gewußt, daß Mischa tot ist. Ich hab das gesehen ! Ich hab gesehen, wie Mischa zum Himmel geflogen ist, aber ich hab das Mami und Papi nicht gesagt, weil sie mir das sowieso nicht glauben würden.«
»Vielleicht hast du nur gesehen, wie Mischa von der Explosion durch die Luft flog.« Joe versucht, eine vernünftige Erklärung für Andrejs Worte zu finden, aber der Kleine läßt sie nicht gelten.
    »Nein, ganz bestimmt nicht! Mischa ist ja gar nicht durch die Luft geflogen. Es hat nur geknallt, und dann ist er umgefallen«, beteuert er.
    Werner steht schweigend und von den Kindern unbemerkt in der Tür und schluckt schwer. Andrej sagt die Wahrheit: Wie man inzwischen weiß, wurde keines der Kinder von der Explosion durch die Luft geschleudert.
    Joe und Jürgen schütteln nur betroffen die Köpfe, und Werner fragt sich, wie Andrej das alles verarbeiten, wie er mit diesen Erfahrungen erwachsen werden wird. Er fühlt sich überfordert und ratlos wie selten in seinem Leben. Wie soll man seine Kinder schützen, wie ihnen erklären, was geschehen ist, wie dieser schreckliche Krieg überhaupt hatte geschehen können?
    Man kann es nicht. Und man kann sie nicht schützen. Man kann nur versuchen, etwas Besseres vorzuleben, kann sich nur alle Mühe der Welt geben, ein guter Vater zu sein - und im Amt mit aller zur Verfügung stehenden Macht für die aufkeimende Demokratie kämpfen, ihre Werte so vehement wie möglich auf sichere Beine zu stellen.
    Das Erste und Naheliegendste in seinem Amt hat er bereits veranlaßt: Er hat Trupps zusammenstellen lassen, die jeden Garten, jede freie Fläche in Lüneburg auf Sprengkörper absuchen und diese unschädlich machen. »Wenn es irgendwie in meiner Macht steht, wird nicht noch jemand in dieser Stadt zum Opfer des überstandenen Krieges«, schwört er sich und streicht Andrej über’s Haar. Es ist zumindest ein Anfang.

13. KAPITEL
    Irgendwo bei Linz, September 1946

Bratkartoffeln
    Knackendes, glühendes Holz auf einer Feuerstelle auf einem fremden Bauernhof. Warme, knisternde Flammen. Sprühende Glutfetzen malen Spuren von roten Funken in die beginnende Dämmerung. Flinke, grobe Hände einer Bäuerin schneiden immer mehr Kartoffelscheiben in eine riesige, gußeiserne Pfanne. Ein sich immer wiederholendes, laut prasselndes Geräusch, wenn die Scheiben in das heiße Fett fallen. Duft nach Gebratenem und einem Hauch von frischen Zwiebeln, wie ich ihn herrlicher noch nie gerochen habe. Die Frau in der bunten Kleiderschürze streicht Manfred zwischendurch immer wieder über den Kopf. Wir alle drängen uns um das Feuer. Die Wärme, die Aussicht auf etwas zu essen läßt uns zum ersten Mal nach Tagen der Kälte und Nässe, des Hungers und Durstes ein wenig zur Ruhe kommen.
    Schon länger als eine Woche sind wir unterwegs. Zuerst haben Joe und ich uns sogar gefreut, als wir gehört haben, wie wir von Barendorf zurück nach Kärnten reisen würden: Nicht so normal wie im Zug oder mit einem Auto. Nein, wir würden auf einem LKW quer durch Deutschland fahren! Das würde ein tolles Abenteuer werden, haben Joe und ich gedacht. Doch als wir dann endlich unterwegs waren, hat unsere Begeisterung ganz schnell nachgelassen. Die Ladefläche, auf der wir sitzen, hat nicht einmal ein Dach. Sie ist nur mit einer Plane irgendwie abgedeckt, aber nach hinten ist alles völlig offen. Seit wir losgefahren sind, regnet es fast ständig. Und weil hinter unserer Ladefläche noch ein Anhänger
hängt, wird die ganze Nässe von der Straße und der ganze Dreck verwirbelt und unentwegt auf unsere Ladefläche, in unsere Gesichter, auf unsere

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