Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
herkommt, eben tut. »Deutsch« - »reichsdeutsch« - zu sein, wie es immer noch heißt, ist hier in
Österreich ja seit Kriegsende irgendwie überhaupt nicht mehr erwünscht. Erst sollte ich immer stolz darauf sein, ein »deutscher Junge« zu sein, und nun muß man sich dafür fast schämen.
    Meine Mutter lacht und erklärt ihr, daß wir seit ein paar Wochen waschechte Österreicher seien mit österreichischem Paß und allem, was dazugehört, und daß sie und Papi schon mehr als fünfzehn Jahre in Kärnten leben. Mein Vater hat uns alle, bevor er nach Barendorf kam, um uns abzuholen, in Österreich einbürgern lassen. Erst als er das geregelt hatte, kam er zu uns. Ein paar Wochen ist es erst her, seit er eines Nachmittags plötzlich auf dem Gut stand - mit einem einzigen Koffer. Er war dünner als früher, man hat ihm die Strapazen der letzten Zeit und der Reise zu uns angesehen, aber es gab keinen Zweifel: Er war wieder da, jetzt würde alles gut werden!
    Er hat sich ein paar Tage erholt, und dann sind wir losgefahren.
    Noch sind wir in der amerikanischen Besatzungszone. Einmal müssen wir noch über eine Zonengrenze, dann sind wir endlich in der britischen Zone, zu der auch Kärnten gehört und können aufatmen.
    Seit ich weiß, daß wir in Österreich sind, und seit ich weiß, daß wir gleich diese herrlichen Bratkartoffeln bekommen, hab ich zum ersten Mal, seit wir in Barendorf losgefahren sind, das Gefühl, daß diese Fahrerei ein Ziel hat, nicht nur eine schier unerträgliche und mühsame Gegenwart, und daß dieses Ziel erreichbar ist.
    Ob sich Ottmanach wohl sehr verändert hat? Ob meine Ziehharmonika noch da ist? Und was wohl aus meinen Schulkollegen geworden ist? Ob der Alois aus meiner Bank noch da ist, und ob sein Vater wohl zurückgekommen ist? - Bald werde ich es wissen.
    Die Bäuerin wendet die goldbraunen, brutzelnden Kartoffeln mit einem großen Kochlöffel. »Glei’ is’s fertig«, bedeutet sie uns. Meine Mutter unterhält sich mit ihr über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, in denen in ein paar Tagen die Urteile gesprochen werden sollen. Wo immer meine Mutter unterwegs Gelegenheit dazu hatte, hat sie sich über den aktuellen Stand der Dinge informiert, und sie hofft so sehr, daß wir rechtzeitig zur Urteilsverkündung wieder zu Hause sind und sie es im Radio mitverfolgen kann. Es scheint sehr wichtig zu sein. Man hat die Männer angeklagt, die man für die schlimmsten Verbrechen des Nazi-Regimes verantwortlich macht. Oder zumindest die, die man geschnappt
hat. Auch Baldur von Schirach, der HJ-Führer, zu dem wir Jungs alle sehr lange irgendwie aufgesehen haben. Ich auch, aber als ich die Ohrfeige bekam, hat meine Begeisterung schon einen großen Dämpfer bekommen, und ich finde es ganz richtig, daß der Reichsjugendführer jetzt auch vor Gericht erklären muß, was er getan hat. Für mein kaputtes Ohr ist er schließlich auch irgendwie verantwortlich, und wenn er bestraft wird, dann auch ein bißchen für mein geplatztes Trommelfell, denke ich mir.
    Die Bäuerin lächelt mich an und beginnt, Eier aufzuschlagen und sorgfältig über der Pfanne zu verteilen. Sofort wird der brutzelnde Klang ein wenig dumpfer, die Farbe verändert sich, dann nimmt sie die Pfanne vom Feuer und gibt sie meiner Mutter.
    »Leider håm ma nua a anzige saubere Gåbel«, erklärt sie bedauernd und reicht meiner Mutter diese einzige Gabel.
    Wir alle drängen uns um sie. Jeder will der erste sein, aber Manfred, der Kleinste, braucht das Essen am dringendsten, erklärt meine Mutter und gibt ihm die Gabel.
    Manfred strahlt und beginnt - mit Gabel und Fingern - die Bratkartoffeln in sich hineinzuschieben. »Matoffeln!« erklärt er zwischendurch mit vollen Backen und glänzenden Augen, und ich kann mir so gut vorstellen, wie herrlich diese warmen »Matoffeln« schmecken müssen. Gleich wird die Reihe an mir sein. Voll Vorfreude beobachte ich meinen kleinen Bruder, während ein Riesenbissen nach dem anderen in seinem Mund verschwindet. Schon beinahe die Hälfte der Pfanne hat er leergegessen. Joe sieht ihn und mich mit sichtlich wachsender Besorgnis an. Ob es wohl auch für uns noch reichen wird?
    Noch ein Bissen und dann noch einer. Und die Pfanne wird leerer und leerer. Hilfesuchend sehen wir meine Mutter an. »Der Kleinste braucht es eben am dringendsten«, erklärt sie nochmals mit einer etwas hilflosen Geste und kann ganz offensichtlich selbst nicht glauben, was sie da sieht.
    Mit jedem Bissen beschwöre ich ihn

Weitere Kostenlose Bücher