Der Mann mit dem Fagott
Nähe zu ihrer Wohnung lähmt meine Schritte. Ich möchte Zeit gewinnen, hab das Gefühl, mit Worten vielleicht noch etwas retten zu können, doch was soll ich sagen? Daß ich mich von Panja trennen werde? Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Panja übt eine geradezu magische Anziehungskraft auf mich aus, obwohl mein Verstand mir sagt, daß diese Verbindung nicht gut für mich ist. Und selbst wenn ich Panja nicht mehr sehe, ich würde bald mit einer anderen Frau fremdgehen. Soll ich Gitta jetzt ewige Treue schwören? Es wäre lächerlich. Und eine schamlose Lüge. Soll ich ihr einen Heiratsantrag machen? Hier, auf der Stelle, aus Angst, sie zu verlieren? Es würde unsere Probleme nicht lösen, sie nur verschlimmern. Und Gitta würde das in dieser Situation auch ganz bestimmt nicht ernst nehmen.
Bevor ich etwas sagen kann, meint sie: »Weißt du, mir ist inzwischen klargeworden, daß ich mir von meinem Partner eine bürgerliche Zuverlässigkeit wünsche. Ich will, daß man wirklich zusammen ist, daß man füreinander so ziemlich das Wichtigste auf der Welt ist. Na ja, das klingt jetzt vielleicht kitschig …« Sie lacht nervös, korrigiert sich dann. »Daß man wenigstens nicht übergangen wird, daß die Gefühle des anderen einem genug bedeuten, um sie nicht zu verletzen.« Sie macht eine Pause. »Ich will nicht verbittert werden.« Sie hält noch einmal inne, dann sagt sie entschlossen: »Nein, ich glaube, ich kann deinen Weg nicht länger mit dir gehen. Nicht um den Preis, den mir und uns das abverlangt.«
Ich nicke, fühle mich leer, irgendwie aller Worte und Gesten beraubt, wünsche mir für Augenblicke eine Zauberformel, um die Zeit zurückzudrehen. Aber was würde ich dann eigentlich anders machen? Gar nichts.
Wir haben die Abzweigung zu Gittas Straße erreicht. Gitta hält plötzlich inne: »Laß mich das letzte Stück allein gehen. Bitte.«
Ich suche fragend ihren Blick
»Geh du noch in die Adebar und triff dich mit deinen Musikerfreunden, das ist gut für dich! Trink dort auch ein Glas auf mich, auf uns beide. Unsere Wege sollten sich jetzt und genau hier trennen. Wirklich.«
»Aber ich möchte dich nach Hause begleiten!«
Gittas Stimme klingt fest und entschlossen, als sie sagt: »Nein. Es ist besser so, glaub mir. Und wenn unsere Wege sich wieder einmal treffen, dann werden wir uns nichts vorzuwerfen haben. Und wenn wir es ohne einander nicht aushalten sollten, wissen wir ja, wo wir uns finden können.« Und nach einer kleinen Pause: »Mach’s gut.«
Ein letzter zaghafter Kuß, dann befreit sie sich aus meiner Umarmung, wendet sich ab, geht ihre Straße entlang.
Benommen und wie gelähmt bleibe ich an der Ecke Kärntnerstraße /Weihburggasse stehen, blicke ihr hinterher. Bestimmt wird sie sich gleich umdrehen, denke ich. Bestimmt wird sie innehalten und winken, und dann werde ich einfach loslaufen und sie in die Arme nehmen. Und was immer auch geschieht, ich werde sie halten. Ich will sie nicht verlieren.
Sie wird immer kleiner. Soll ich ihr hinterherrufen: »Warte«? Es ist vielleicht meine letzte Chance. Gleich macht die Weihburggasse eine leichte Krümmung, dann wird Gitta von Häusern verdeckt sein. Soll ich rufen? Losrennen? Nicht, wenn sie sich nicht umdreht, beschließe ich. Sie muß doch spüren, daß ich immer noch hier stehe und ihr hinterherblicke, daß ich nur auf ein Zeichen von ihr warte.
Unbeirrt geht sie weiter, entfernt sich immer mehr von mir.
Die letzten Schritte - und sie verschwindet hinter den Häusern.
Verloren lehne ich mich an die Hauswand, zünde mir eine Zigarette an.
»He, Klaner, du schaust åber traurig drein!« Eine grellgeschminkte Frau in aufreizender Kleidung spricht mich an. »Kommst mit mir? Nur 50 Schilling, und es geht da wieda guat.«
»Nein danke«, stammle ich. Es ist wirklich das letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, aber es hat mir geholfen, mich aus meiner Erstarrung zu lösen. Langsam, Schritt für Schritt gehe ich die Kärntnerstraße weiter Richtung Oper, biege in die Annagasse ein. Die Adebar hat bis weit in die Nacht auf. Wenn Gitta mich sucht, weiß sie, daß sie mich dort findet.
»Wenn unsere Wege sich wieder einmal treffen, dann werden wir uns nichts vorzuwerfen haben«, hat sie gesagt. Vielleicht treffen unsere Wege sich ja noch heute nacht in der Adebar. Es wäre schön, wenn es auch keine Lösung wäre.
Mit einer kleinen Hoffnung und einer großen Leere in mir gehe ich schnellen Schrittes durch das nächtliche, menschenleere Wien
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