Der Mann mit dem Fagott
dich sogar verstehen.«
Wir schlendern durch die Stadt. Vor dem noblen Hotel »Sacher« rollt ein Page den roten Teppich ein. Ein alter Portier kehrt schweigend mit einem Besen Zigarettenstummel, Papier, Schmutz vom Trottoir.
An der Ecke ein Blumenverkäufer auf dem Weg zu seinen Lokalen, den Arm voller Rosen. »Wollen wir Johann Strauß eine Rose bringen für all das Schöne, was wir miteinander erlebt haben?«
Gittas Vorschlag überrascht mich, aber ich bin ihr auch dankbar für die Idee. Schnell entschlossen kaufe ich dem Mann zwei rote Rosen ab. Eine für Johann Strauß, die andere für Gitta. Lächelnd sieht sie mich an. »Du hast mir schon lange keine Blumen mehr geschenkt …«
Es beschämt mich, aber sie hat recht. »Ich hab so viele von den Kleinigkeiten vernachlässigt, die eigentlich wichtig wären, sogar den Kieselstein aus Amerika. Es tut mir so leid …«
Gitta lächelt. »Das ist doch nicht so wichtig!«
Das Johann-Strauß-Denkmal ist dunkelbraun-grün vom Zahn der Zeit und nicht mehr hell und golden, wie es früher einmal war. Schmutzig von Vogeldreck und Staub. Inzwischen geübt, hangle ich mich am Sockel der Statue hoch und lege meine Rose auf seine Geige, denke dabei an mein neues Lied, die Dinge, die mir in letzter Zeit geglückt sind und an mein Leben mit Musik, für das
Johann Strauß mir irgendwie Pate steht, ob er will oder nicht. Und ich denke auch an die schöne Zeit mit Gitta.
Eine Weile gehen wir schweigend nebeneinander her, durch den Stadtpark, in dem wir so viele schöne, verliebte Stunden verbracht haben - und noch glaubten, es genügt, daß wir uns lieben. Noch ohne Angst vor der Größe dieses Wortes, dem ich mich heute nicht mehr gewachsen fühle. Wir sind schon seit fast einer Stunde unterwegs, und keiner von uns möchte nach Hause gehen. Ich möchte den Moment hinauszögern, so lange es geht, als ob vielleicht irgendwann im Laufe dieser Nacht und dieses Weges die Lösung für uns wie eine Sternschnuppe vom Himmel fallen könnte.
»Weißt du, ich bin dir überhaupt nicht böse«, sagt Gitta schließlich leise. »Ich meine, als ich das Bild gesehen und gelesen habe, was draufstand, da war ich natürlich stinkwütend.« Sie zündet sich eine Zigarette an. »Und es geht mir eigentlich auch gar nicht darum, ob es nun diese Frau in deinem Leben gibt oder eine andere. Ich weiß, daß es immer irgendwen geben wird. Ich werde für dich nie die einzige sein, und ich werde nicht einmal an erster Stelle in deinem Leben stehen, denn dort steht dein Klavier, und das muß auch so sein. Aber ich habe das Gefühl, daß ich dabei auf der Strecke bleibe. Du brauchst eine Frau, die dir Freiheit läßt, die dich nicht fragt ›Wo kommst du jetzt her, wo warst du so lange und mit wem?‹, wenn du morgens um vier nach Hause kommst. Das könnte ich aber nicht. Ich könnte es nicht schaffen, nicht eifersüchtig zu sein. Ich möchte viel lieber großzügig sein und einfach nur das Schöne, das wir haben, genießen können, aber das kann ich nicht. Ach, ich weiß auch nicht …« Sie schluckt schwer.
Inzwischen haben wir den Stadtpark hinter uns gelassen, die Ringstraße überquert, schlendern durch die Wollzeile, eine enge Gasse mit vielen kleinen Geschäften. Da und dort Obdachlose. Vor einer der Würstchenbuden schwankt ein Mann grölend über die Straße. Ich nehme Gittas Hand, suche Zuflucht in dieser vertrauten Geste. Sie weist mich nicht zurück. Am liebsten würde ich sie jetzt einfach in die Arme nehmen und festhalten und so tun, als gäbe es kein Morgen und keine Zukunft und keine Probleme. Ich fühle mich plötzlich überfordert von diesem Gespräch und den Entscheidungen, die anstehen, meine zögernd: »Wollen wir nicht irgendwo etwas trinken gehen und morgen weiterreden?«
Gitta schüttelt den Kopf. »Ich glaube, es hat keinen Sinn, es noch weiter hinauszuzögern. Ich danke dir für alles, was du mir gegeben hast, für die Liebe, die uns keiner mehr nehmen kann.«
Sie wirkt unendlich stark. Ich bewundere sie. Und ich fühle eine Beklemmung wie selten in meinem Leben.
Inzwischen haben wir die Kärntnerstraße erreicht. Vereinzelte Autos. An der einen oder anderen Straßenecke Prostituierte. Eine spricht mich an: »Junger Mann? Wie wär’s? Einen Dreier vielleicht?«
Gitta und ich sehen uns verdutzt an. Gitta beginnt, wie es ihre Art ist, zu lachen, und für einen Augenblick keimt ein Funke Hoffnung in mir, daß dieser Abend mit einem Neubeginn für uns beide enden könnte.
Die
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