Der Mann mit dem Fagott
im Sinn.
»Udo, måch a Hetz, spiel wås«, wendet er sich an mich. »Klavierspieln kånnst zwoa net besonders, åber wånnst dazua singst, bist du unschlågboar.« Ein großes Kompliment aus dem Mund dieses Mannes. Eigentlich kann niemand sich einer solchen Aufforderung entziehen.
»Net glei nåchm Fritzl«, erwidere ich »Nåchm Gulda kumm i ma am Klavier vor wie a Oarsch. A bissl später vielleicht.« Die Dialektsprache am Tisch steckt mich an, wie immer, wenn ich in Österreich bin.
»Okay«, meint Zawinul, und in betont feinem Hochdeutsch: »Dann höret den Meister.« Und er begibt sich mit einer klassischen Verbeugung selbst ans Klavier: »Stormy Weather«, ein Klassiker in einer freien Improvisation und einer Harmonik, die uns die Welt vergessen läßt. Die locker-schwebende Atmosphäre läßt meine Bedrücktheit verschwinden.
Die Adebar ist der richtige Ort für die Einsamen der Nacht, für die, die vergessen wollen und jene, die sich verloren haben. Sich in Musik ganz spüren und doch ganz verlieren, das ist es, was ich jetzt brauche. Und keine Fragen hören. Nichts erklären müssen. Nicht rechtfertigen, was ich selbst nicht verstehe. Warum es nicht reicht, sich zu lieben. Warum es nicht reicht, zu wissen, daß Gitta viel besser
für mich wäre als Panja oder irgendeine andere Frau, die ich vielleicht noch kennenlernen werde. Warum dieses Wissen nichts ändert, warum ich diesen Gefühlen keine Opfer bringen kann und warum ich weiß, daß es so auch besser für mich ist. Seltsame Verwicklungen der Seele, die sich mit scheinbar so einfachen Gleichungen von Liebe und Lebensglück nun einmal nicht entwirren lassen.
Bin ich verantwortungslos? Egoistisch? Gar unmoralisch? Hier, in der Adebar, muß ich mir diese Frage nicht stellen.
Werde ich mein Lebensglück finden? Hier wird die Frage bedeutungslos, denn ich habe es bereits gefunden. In aller Traurigkeit des Moments. In jedem einzelnen Augenblick. Und in den Tönen, die ein Universum meiner Gefühle und Sehnsüchte darstellen wie keine Liebe der Welt es kann.
16. KAPITEL
Frankfurt am Main, 15. August 1961
Kalter Krieg und Portwein
Die Frankfurter Altstadt im Hochsommerglanz. Die Straßencafés sind belebt. Aus einem Radio erklingt mein Lied »Jenny«, das ich vor zwei Jahren geschrieben habe. Es hat mir Glück gebracht: Ich habe vor einem Jahr damit beim Schlagerfestival von Knokke teilgenommen und damit die Einzelwertung gewonnen. Seither wird das Lied häufig im Radio gespielt; es war wochenlang in Belgien Nummer eins, obwohl es noch nicht einmal eine Platte davon gab, nur den Live-Mitschnitt vom Festival und meine Plattenfirma sich erst durch diesen Erfolg aus dem Ausland dazu durchgerungen hat, eine Aufnahme davon zu machen. Mit billigsten Mitteln, aber immerhin. Für die Produktion des Titels bewilligte man mir eine Orgel, Baß und Schlagzeug und eine einzige Geige. Dazu natürlich mein Klavier. Eine armselige Besetzung. Mit der Orgel und der Geige experimentierte ich im Studio mit verschiedenen Hallräumen herum, um eine wenigstens einigermaßen vernünftige Aufnahme zustande zu bringen, aber was immer wir auch versuchten, die Orgel und die einzige Geige klangen auch im besten Hallraum klein und dürftig. Bis ich in einer Toilettenpause den geradezu gigantischen Hall in den Studiotoiletten entdeckte. »Stellt keine dummen Fragen, bringt die Lautsprecher und ein Mikro zur Toilette!« Und tatsächlich, wenn wir die Geige und die Orgel über die Lautsprecher in den Toilettenraum einspielten und das gleichzeitig von dort wieder aufnahmen, klangen die einzelne Geige und die Orgel beinahe wie ein ganzes Orchester. Die Platte mit dieser
»Toilettenaufnahme« von »Jenny« ist ein Riesenerfolg geworden, und manchmal ist es vielleicht ganz gut, daß das Publikum nicht weiß, wie eine solche Aufnahme entsteht.
Kurzzeitig hatte ich durch dieses Lied einen Vorgeschmack darauf, wie es sein könnte, mit meinen eigenen Liedern erfolgreich zu sein, aber seither trete ich wieder auf der Stelle. Nach wie vor weigert die Polydor sich, mich meine eigenen Kompositionen singen zu lassen. Die Macht der wenigen Vertragskomponisten bei der Polydor, die alles für die Firma schreiben, verhindern das Eindringen eines Sängers, der auch noch komponieren will, und der Erfolg, den ich mit »Jenny« hatte, droht sich in Luft aufzulösen.
Ein bißchen wundert es mich, daß in diesen Stunden »Jenny« im Radio gespielt wird, daß überhaupt Musik gespielt wird, daß die
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