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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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erinnert sich an diese Geste und die Berührung, als wäre sie gerade erst einen Augenblick her. Und an ihre Worte: »Du darfst Rußland nicht vergessen, ja? Auch wenn jetzt schreckliche Dinge passieren, es ist ein gutes Land! Und du wirst wiederkommen, das weiß ich, und ich werde da sein.«
    Werner hatte damals genickt, hatte sich schlängelnd aus ihrer ungewohnt festen, etwas fremden Umklammerung gelöst und war zu Pascha gelaufen.
    Nastasja! Sie ist es wirklich! Nastasja! Er kann es kaum fassen. Sie hatte gesagt, er würde wiederkommen, und sie würde da sein. Und hier stand sie nun, 44 Jahre später, eine alte Frau, und sie putzte die Treppe unter den Sowjets, genauso, wie sie sie damals in der Zarenzeit geputzt hatte. Es hatte sich nichts geändert, nur der Ton war unfreundlicher, das Leben für die kleinen Menschen war für viele noch härter geworden.
    »Nastasja!« sagt er leise, und sie nickt weinend. Einer der Offiziere drängt sie ab in den Keller, ein anderer weist Werner an weiterzugehen, schiebt ihn rauh ins ehemalige Damenzimmer, das kaum wiederzuerkennen ist. Kein Schmuck, lieblose, zweckmäßige Einrichtung auch hier: Schreibtische, Schreibmaschinen, Telefone, ein Stadtplan an der Wand. Man weist ihm einen einfachen Holzstuhl zu.
    »Wer sind Sie, und was machen Sie hier? Woher kennen Sie diese Frau?« Zwei Uniformierte stellen ihm Fragen.
    »Werner Bockelmann. Ich bin der Oberbürgermeister von Frankfurt am Main, Deutschland, und Teil einer diplomatischen Delegation, die zur Zeit in Moskau zu Gast ist. Ich wurde in diesem
Haus hier geboren, und diese Frau hat damals schon in diesem Haus gearbeitet.«
    Die Rotarmisten sehen sich kopfschüttelnd an. »Diese Geschichte können Sie Ihrer Mamuschka erzählen!« Dann sagt einer eindringlich: »Sie können jetzt weiter lügen und sich immer mehr in Schwierigkeiten bringen, oder Sie können die Wahrheit sagen: Warum haben Sie dieses Haus photographiert? Es ist kein touristisch interessantes Gebäude.«
    »Es ist mein Geburtshaus.«
    »Lassen Sie den Unsinn! Niemand photographiert eine Polizeibehörde.«
    Polizeibehörde? Werner beginnt langsam zu begreifen: Offenbar ist das Haus inzwischen nicht nur ein militärisches Gebäude, sondern ein Sitz des Geheimdienstes geworden. Offenbar befindet er sich gerade in den Händen des KGB. Er hat ein Gebäude des KGB photographiert!
    »Wir können Sie auch gleich in die Butyrka überstellen. Dort werden Sie schon reden. Sie sprechen akzentfrei russisch, sind aber Deutscher. Wenn Ihre Papiere nicht gefälscht sind. Sie verfügen außerdem über eine moderne Kameraausrüstung. Wer ist Ihr Auftraggeber? Wenn Sie reden, ist es besser für Sie.«
    »Aber so hören Sie doch zu. Ich bin kein Spion, und es gibt keine Auftraggeber. Dieses Haus hat meinem Vater, Heinrich Bockelmann, gehört. Er war Leiter und Mitbesitzer der damaligen Junker-Bank am Kusnezkij Most. Wir haben bis Kriegsausbruch 1914 hier gelebt. Ich kenne mich in diesem Haus ganz genau aus, ich kann Ihnen beweisen, daß mir die Räume hier vertraut sind, kann Ihnen sagen, wie die einzelnen Zimmer und Durchgänge liegen, oder was immer Sie wissen wollen. Woher sonst hätte mich Ihre Putzfrau Nastasja erkennen sollen?«
    »Die Genossin wird gerade gesondert verhört. Wir vermuten in ihr eine Komplizin. Wo haben Sie so gut Russisch gelernt?«
    »In Moskau. Ich bin hier geboren und aufgewachsen.« Werner ist am Verzweifeln. Er mußte die Beamten endlich dazu bekommen, seine Geschichte zu überprüfen. »Ich bin auf Einladung des deutschen Botschafters Knoke hier, wohne im Hotel Bukarest. Sie können das gern überprüfen. Bitte!«
    Einer der Beamten geht aus dem Zimmer, ein anderer tritt ein
und beginnt von vorn mit den immer gleichen Fragen. Was mußte Nastasja irgendwo in einem anderen Verhörzimmer dieses Hauses gerade durchmachen?
    Verstohlen blickt Werner auf seine Uhr. Was, wenn sie ihn tatsächlich in die Butyrka bringen, in das »Haus der stummen Schreie«, wie dieses berüchtigtste Gefängnis der Stadt schon zu Zeiten seines Vaters genannt worden ist?
    Unerwartet öffnet sich die Tür. Die beiden Beamten werden barsch hinausgerufen. Kurz darauf kommt ein neuer herein. »Entschuldigen Sie bitte die Unannehmlichkeiten, Towarisch Bockelmann«, plötzlich nannte man ihn also »Genosse«. »Wir haben den Botschafter soeben erreicht, und er hat Ihre Aussagen bestätigt. Wir bedauern in aller Form die Umstände, die wir Ihnen bereiten mußten. Dürfen wir Sie

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