Der Mann mit dem Fagott
das gerade entstehende und noch nicht ganz ausgereifte System der Wasserversorgung zahlen muß. Man weicht großräumig aus.
Nach dem großen, prachtvollen dunklen Automobil, in dem der deutsche Kaufmann Heinrich Bockelmann sich mit seinen beiden ältesten Söhnen Erwin und Rudi bewegt, drehen sich die Menschen um. Als er vor einigen Jahren voll Stolz seinen ersten Wagen gekauft hat, war es eines der ersten Autos in Moskau gewesen. Seiner Meinung nach sogar das allererste. Aber neuerdings ist man an den Anblick von Autos im Straßenbild neben all den Pferde- und Ochsengespannen, den Straßenbahnen, Droschken, Fahrradfahrern
und Menschen, die zu Fuß gehen, schon etwas gewöhnt. Doch so ein prächtiges Automobil wie Heinrich Bockelmann es fährt, hat man in Moskau noch nie gesehen. Vor kurzem erst ist der neue Horch beim Automobilsalon in Sankt Petersburg präsentiert worden. Heinrich hatte ihn sofort gekauft. Er liebte alles, was mit neuer Technik zu tun hatte, und Autos ganz besonders. Daß man bei diesem hier bei schönem Wetter das Dach nach hinten klappen kann, ist eine Spielerei, die ihm ganz besonders gefällt. Und das schöne sibirische Nußbaumholz der Innenverkleidung - davon kann er begeistert schwärmen.
Bewundernde Blicke im Vorbeifahren.
In solchen Momenten schien noch alles beim alten zu sein. Da war nichts zu spüren von den Konflikten, die seit einigen Jahren in Rußland brodelten. Arm gegen reich, Sozialismus gegen Kapitalismus, Demokratie gegen Autokratie, Russen gegen Deutsche, die zur Wirtschaftselite des Landes gehörten. Keine protestierenden Arbeiter sind zu sehen, auch wenn da und dort eine rote Fahne aus einem der Fenster hängt. Es gehört schon fast zum gewohnten Straßenbild, stört die alltägliche Ordnung kaum noch. Niemand mokiert sich über den Wagen, den zur Schau gestellten Reichtum. Im Gegenteil: Man scheint sich zu freuen, solch ein schönes und seltenes Gefährt auf den Moskauer Straßen zu sehen.
Heinrich Bockelmann glaubt fest daran, daß der wirtschaftliche Fortschritt, der ihm persönlich nützt und für den er sich einsetzt, letztlich auch dem Land, in dem er sich mittlerweile heimisch fühlt, und vor allem den Menschen, die mit ihm und für ihn arbeiten, helfen wird, die Zukunft zu meistern. Wer arbeitet, der soll auch leben, ist eine seiner Überzeugungen.
Er selbst hatte es vom Volontär zum Leiter und Mitbesitzer der Junker-Bank, der ersten und einflußreichsten Privatbank Moskaus, gebracht. Selbst der Zar hatte privates Vermögen beim Bankhaus J. W. Junker & Co. angelegt.
Rußland war ein Land mit vielen, beinahe unbegrenzten Möglichkeiten, ein offenes Land, in dem man es mit Können und Fleiß weit bringen konnte. Es war so etwas wie ein kulturelles und wirtschaftliches Zentrum, und in den Städten hatte die deutsche Wirtschaftselite gemeinsam mit der französischen Kulturszene das Leben geprägt. Auf drei russische Geschäfte kam ein deutsches. Es war ein
idealer Nährboden für multikulturelle Ideen, Abenteurer und Menschen, die ihre Chance suchten. Heinrich Bockelmann hatte diese Chance gesucht und gefunden. Nun war er 42 Jahre alt, ein stattlicher Mann in den allerbesten Jahren, groß, von mächtiger Gestalt, einflußreich, Vater von vier Söhnen, ein fünftes Kind war gerade unterwegs, er war Angehöriger der gesellschaftlichen Führungsschicht seiner zweiten Heimat und genoß die Früchte seines Aufstiegs.
Die Unruhen der neueren Zeit werden sich bestimmt auch bald wieder legen, hofft er, und dieser herrliche Sonntag, an dem kein noch so kleiner Hauch von Aufruhr die ruhige Heiterkeit trübt, scheint ihm recht zu geben. Sicher mußte man neuerdings ein wenig vorsichtiger sein, durfte sich nicht leichtsinnig in dunklen Seitengassen aufhalten, aber Pöbel und Wegelagerer hatte es schon immer gegeben. Und für die Demonstrationen der Arbeiter, die immer wieder einmal die Stadt für kurze Zeit ins Chaos stürzten, hat Heinrich sogar ein gewisses Verständnis. Irgendetwas würde sich in diesem Land sicher ändern müssen, davon war auch er, wie die meisten seiner Geschäftsfreunde, überzeugt. Man würde den richtigen Weg für dieses Land schon finden.
Apollo
Ein paar Straßenkinder laufen dem Wagen, der im Schrittempo fährt, hinterher. Heinrich Bockelmann greift an die Außenseite des fensterlosen Fahrersitzes, wo sich der quietschende Gummiball der Hupe befindet, hupt ein paarmal und lacht wie die Kinder über den quäkenden Ton, der mehr zu einer
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