Der Mann mit dem Fagott
meine Eltern dabeihaben, und ich möchte sie damit überraschen. Also habe ich ihnen nichts von diesem Gespräch,
nichts von dieser Begegnung erzählt. Und auch nichts von meinem Termin ein paar Wochen später, bei dem ich mit Händen und Füßen agierend den Entscheidungsträgern des Orchesters nicht nur das Lied, sondern auch einzelne Instrumente und Nebenstimmen singend meine gemeinsam mit dem Arrangeur Uli Roever erstellte Partitur erklärte. Nach etwa zwanzig Minuten war ich schweißgebadet und rechnete damit, mir eine Abfuhr zu holen, ein freundliches aber bestimmtes »Das ist ja sehr ambitioniert, aber das ist leider nichts für uns«, zumal die Herren während meiner gesamten Präsentation keine einzige Miene verzogen hatten. Doch dann, als ich mich bedankte und damit begann, meine Noten zusammenzulegen, wechselten die Herren einen kurzen Blick, nickten sich zu und erklärten: »Das ist ja ein sehr attraktives Stück, das werden wir natürlich aufnehmen.«
Und nun ist es soweit. Wir sind in der leeren Philharmonie, und meine Eltern haben noch immer keine Ahnung von dem, was hier gleich stattfinden wird.
»Bist du sicher, daß wir hier richtig sind? Ich meine … hier ist doch ganz offensichtlich jetzt kein Konzert, und es ist außer uns auch niemand da.« Mein Vater sieht mich ratlos an.
»Ja, ich glaube auch, daß du dich da irgendwie geirrt hast, mein Junge. 10 Uhr vormittags an einem Dienstag, das ist schon eine seltsame Uhrzeit für ein Konzert. Das kann doch nicht stimmen.« Meine Eltern sehen sich suchend nach allen Seiten um, ob vielleicht doch noch andere Besucher kommen und wenden sich dann wieder in Richtung Tür, um den Portier zu fragen, wann das Konzert, zu dem ich sie eingeladen habe, denn nun wirklich stattfindet.
Ich halte sie zurück. »Nein, glaubt mir, das hat schon alles seine Richtigkeit.« Ich blicke in ratlose Gesichter.
»Na, wenn du meinst… «
Wir betreten den menschenleeren Saal. »Ihr könnt euch hinsetzen, wo ihr wollt. Die Philharmonie gehört euch allein.«
Meine Mutter sieht mich verwundert an. »Aber das gibt’s doch nicht. Du hast doch wohl nicht die Berliner Philharmonie für uns gemietet!«
»So ähnlich«, lächle ich geheimnisvoll.
»Nun sag uns doch endlich, was hier eigentlich los ist«, insistiert mein Vater mit vor Neugierde drängendem Blick.
»Ihr werdet schon sehen«, lache ich, »laßt euch überraschen.« Und nach einer kleinen Pause: »Und ich hoffe sehr, daß es Apollo, den Helden deiner Jugend, wirklich gibt und daß diese Stunden unter seinem Schutz stehen.« Während mein Vater mich noch nachdenklich ansieht, entschuldige ich mich für eine Viertelstunde, um letzte Vorbereitungen zu treffen.
Apollos Rückkehr
An die hundert Musiker sind hinter der Bühne, in den Gängen, Probenräumen und Garderoben verteilt. Überall um mich herum der Klang Dutzender Instrumente, die Tonleitern spielen, Melodiefolgen, dann wieder verstummen, von anderen abgelöst werden. Eine Atmosphäre zwischen Angst und erwartungsvoller Vorfreude. Ich habe meinen Manager Freddy Burger gebeten, mich vor der Aufnahme ein paar Minuten allein zu lassen. Er hat sich in den Regieraum zurückgezogen, von dem aus die Aufnahme geleitet wird. Ich möchte an einem Klavier in einem der Probenräume meinen Part noch einmal durchspielen, mich konzentrieren und versuchen, den Augenblick zu begreifen.
Das, was vor mir liegt, kommt mir plötzlich so unwirklich vor. Ich muß an meinen allerersten Theaterbesuch denken, damals, in Klagenfurt, als ich beschlossen habe, daß meine Realität nicht vor , sondern hinter diesem schönen roten Samtvorhang liegt, der die Bühne von der »Welt da draußen« abgrenzt. An den langen, weiten Weg, den ich seither zurückgelegt habe, an all die Enttäuschungen und Rückschläge, die ich erlebt habe, an den leisen bitteren Beigeschmack, den meine Familie zu tragen hatte, als man begriff, daß ich meine Zukunft nicht in der klassischen Musik sehe, sondern in der Unterhaltungsbranche. Aber auch an all die wunderbaren Momente, die ich in diesen inzwischen mehr als zwanzig Jahren auf ungezählten Bühnen verbrachte, an all die Begegnungen, die mich für Augenblicke berührt haben, auch wenn ich weiterziehen mußte, an Freundschaften, die ich schloß und verlor,
Veränderungen, die ich durchlebte und durchlitt und immer als notwendigen und positiven Teil des Lebens empfand. Und ich denke auch an die Versöhnung mit meinem Onkel Erwin, damals, in Hamburg, die so
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