Der Mann mit dem Fagott
uns gerichtet. Meine Mutter winkt wieder. Nichts geschieht, nur die Ferngläser werden abgeschwenkt. Die graue Wirklichkeit der Grenze holt uns ein.
Etwas verloren die Geste meiner Mutter, mit der sie die Hand sinken läßt. »Schade, hat nicht geklappt. Die Sache mit der Verständigung von Ost- und Westdeutschen muß wohl noch etwas verschoben werden.«
»Sieht ganz so aus«, meint mein Vater mit einem nachdenklichen Nicken.
Meine Mutter seufzt, prostet uns zu und hebt ihr Glas in die Richtung des Wachtturms. »Und ich trinke trotzdem auf eine versöhnliche Zukunft - und auf schöne Tage hier in Berlin!«
»Was haben Sie denn da bloß geschrieben?«
Die Philharmonie in morgendlicher Ruhe. Zwei Reinigungsfrauen wischen die langen Gänge, das Buffet wird neu beliefert. Die Garderoben im Foyer sind nicht besetzt. Der Portier hat uns freundlich eingelassen und zwei unmittelbar nach uns gekommene Bläser der Berliner Philharmoniker begrüßt: »Haben Sie heute eine Probe?«
»Nein, eine Aufnahme.«
»Nicht einmal ein einziger Tag Pause? Sie sind doch gerade erst von einer Japan-Tournee gekommen.«
»Ja, gestern abend, und morgen geht es zu den Salzburger Festspielen. Aber was tut man nicht alles für die Musik.«
»Genau. Ich wünsche einen schönen Tag.«
Ich bin froh, daß meine Eltern dem Gespräch hinter uns keine Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheinen und daß mein Name im Zusammenhang mit dem Wort »Aufnahme« nicht fiel. Ich möchte mir die Überraschung nicht im letzten Moment verderben lassen. Es war schwierig genug, all die Vorbereitungen für mich zu behalten, meine Eltern von Anfang an nicht in das Projekt einzuweihen, das heute endlich realisiert werden soll. Schon als die ersten Ideen dazu entstanden, habe ich beschlossen, meine Eltern damit zu überraschen - sollten sie je Wirklichkeit werden.
So habe ich ihnen nichts von meiner neuen Komposition erzählt, die einen orchestralen Klang braucht und von meinen heimlichen Hoffnungen, irgendeinen Weg zu finden, dafür die Berliner Philharmoniker zu gewinnen. Zu abwegig erschien mir die Idee, um meinen Eltern davon zu berichten, zu unwahrscheinlich schien mir, daß sich diese Vorstellungen würden umsetzen lassen.
Aber Freddy Burger ermutigte mich: »Immer ganz oben anfangen! Fragen kostet nichts.«
Als dann Herbert von Karajan zu meiner großen Überraschung mein Konzert in der Philharmonie besuchte und mich im Anschluß daran für einen der nächsten Tage zum Tee im Hotel Savoy einlud, keimte in mir ein erster Funken Hoffnung, wenn ich auch all meinen
Mut zusammennehmen mußte, um mein Vorhaben gegenüber dem wohl größten und wichtigsten Menschen in der gegenwärtigen klassischen Musikszene anzusprechen. Zum Glück erleichterte er mir den Einstieg, indem er mich freundlich nach meinen künftigen Plänen fragte.
»Nun … Ich habe gerade ein etwas anderes Stück geschrieben, für das ich eigentlich einen großen symphonischen Klang bräuchte, und mein Traum wäre, dafür Musiker Ihres Orchesters zu gewinnen«, begann ich, mich vorzutasten.
Karajan lächelte freundlich. »Sie brauchen also vermutlich einen Teil der Streicher?«
Ich nickte. »Ja … oder eigentlich besser … die ganze Streicherbesetzung.«
Karajan: Pause, Staunen in seinem Blick.
Ich: »Und das Blech bräuchte ich eigentlich auch.«
Karajans ungläubiges Stirnrunzeln. »Wie viele?«
Ich - etwas scheu: »Nun … eigentlich alle. Und wenn’s geht auch die Holzbläser und … genaugenommen … auch das gesamte Schlagwerk.«
Staunendes Schweigen.
Ich, die Katze endlich aus dem Sack lassend: »Mit anderen Worten, ich habe an das gesamte Orchester, die ganzen Berliner Philharmoniker gedacht.«
Noch nie habe ich auf einem Bild das weltberühmte Gesicht Herbert von Karajans so fröhlich gesehen, dann seine amüsiert-interessierte Frage. »Was haben Sie denn da bloß geschrieben?« Und während ich noch nach einer Antwort suchte, meinte er: »Ich habe natürlich nichts dagegen, aber ich habe das nicht zu entscheiden. Die Berliner Philharmoniker sind demokratisch organisiert. Wenn das gesamte Orchester für so ein Projekt zum Einsatz kommen soll, muß der Orchestervorstand zustimmen. Ich kann Ihren Wunsch gern an ihn weiterleiten. Sie werden dann eingeladen, einem Gremium aus dem Orchester Ihre Komposition vorzustellen, und der wird dann entscheiden. Ich kann Ihnen da nur viel Glück wünschen!«
Verhaltener Optimismus und mein Entschluß, wenn das klappt, dann möchte ich
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