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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Enttäuschung über die neuen Entwicklungen Luft machen? Das sind nicht die idealistischen Roten mit ihren auf demokratische und humanistische
Ziele gerichteten politischen Aktionen! Das ist ein dumpfes Pack, das nichts mehr zu verlieren hat und allen neuen Entwicklungen, allem, was von außen kommt, die Schuld für das eigene Versagen zuschreibt!«
    Natürlich hatte Heinrich schon von den gefürchteten »tschornaja sotnja«, den »Schwarzhundertern« gehört, die plündernd und gewalttätig ein slawisches Rußland forderten - und die Wiederherstellung der alten Ordnung, die langsam ein wenig aufbrach und erste Spuren von Demokratie erahnen ließ. Eine unberechenbare, verlumpte, frustrierte Gruppe von gestrandeten Existenzen aus allen Schichten und Berufen, Gelegenheitsarbeitern, gescheiterten Studenten, Bauern, die ihr Glück in der Stadt vergeblich gesucht hatten, kleinen Handwerkern, deren Betriebe der Konkurrenz durch die großen Manufakturen nicht gewachsen waren, Beamten, die ihre Macht gefährdet sahen, sogar einfachen Polizisten. Ein Auffangbecken für alle Verlierer der neuen Zeit, absolute Reformgegner, denen sich auch politisch völlig uninteressierte gewöhnliche Kriminelle angeschlossen hatten, die zu Tausenden nach der Oktoberamnestie freigekommen waren. Plündernd und gewaltbereit zog der Pöbel durch die Straßen auf der Suche nach Waren, die sich zu Geld machen ließen und nach Angriffszielen für ihre sinnlose Wut. Alles, was neu ist, erfolgreich ist, von außen kommt, ist ihnen verhaßt und wird bekämpft - ohne eigentliches Ziel. »Dumpfe Gestrige«, nennt Baron von Knoop sie knurrend.
    »Diese sinnlose Gewalt, die Steine wirft und Schaufenster einschlägt und Passanten ausraubt und verprügelt, hat doch nichts, aber auch gar nichts mit den zielgerichteten Aktionen zu tun, in denen die jungen Sozialisten manchmal über das Ziel und die Grenzen politischer Kultur hinausschießen. Die Sozialisten wollen wenigstens etwas bewegen und versuchen das manchmal leider auch mit Gewalt. Sie haben Ideale, und nicht alle davon sind unbegründet. Die Schwarzhunderter wollen nur Angst und Schrecken verbreiten und dafür sorgen, daß die Verhältnisse unter ihrer Gewalt vollkommen erstarren. Das kann man doch wirklich nicht vergleichen!«
    Heinrich lacht über den Eifer Baron von Knoops. »Wie ich merke, sind Sie selbst ein junger Sozialist! Wenn die alle so gebildet und von humanistischen Idealen getragen wären wie Sie, dann
bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen. Aber ich fürchte, daß Sie von denen auf der Straße für Ihre Sympathie doch nur Hohn und Gewalt ernten würden. Sie sind und bleiben der Feind, der Ausbeuter, der auf seidenen Laken schläft und es sich in seinem Wohlstand auf dem Rücken der Unterdrückten gemütlich einrichtet. Akzeptanz und Dankbarkeit werden Sie von denen niemals bekommen - höchstens den Pflasterstein, den man auf Ihr Auto oder durch das Fenster Ihrer Villa wirft! Das ist nun einmal die traurige Realität, glauben Sie mir, sowenig uns das auch gefallen mag! Reformen müssen von Menschen getragen werden, die Kultur haben. Gewalt disqualifiziert sich dabei selbst!«
    Die Diskussion zwischen den beiden Freunden wird allzu heftig, doch die Frauen beschwichtigen:
    »Das ist kein Abend für Politik! Laßt uns die schöne Abendstimmung genießen und uns auf die Musik freuen!«
    Auch Heinrich und Baron von Knoop wollen sich den Abend nicht verderben lassen, doch die katastrophale politische Situation sorgt in der letzten Zeit häufig für Verunsicherung und gereizte Stimmung.
    Die Lage im Land ist unübersichtlich geworden. Gewalt auf allen Seiten. Und Parolen, in deren Mühlen die reichen Deutschen im Lande von allen Seiten geraten - ebenso wie die wirtschaftlich erfolgreichen Juden. Antisemitische Hetzschriften machten schon lange die Runde und durchzogen alle politischen Strömungen. Wer immer in diesem Land an die Macht kommen oder an ihr festhalten wollte, war gegen die Juden und stempelte sie mehr und mehr zu Sündenböcken für alles, was in diesem großen, schier unregierbaren Land im argen lag.
    Mindestens ebenso besorgniserregend für Heinrich und Baron von Knoop und den übrigen Moskau-Deutschen Freundeskreis war aber die zunehmende und immer erbitterter geführte Propaganda gegen die Deutschen. Den einen erschienen sie wie Maden im Speck der alten Ordnung und damit als Reformgegner und Ausbeuter, den anderen als Fremde, die mit ihrem wirtschaftlichen Erfolg alles im

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