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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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wartet er nicht, bis man ausgesprochen hat, sondern klopft dem Vorsitzenden ungeduldig auf die Schulter, beugt sich über ihn, flüstert ihm, noch ehe er dazu aufgefordert
wurde, etwas ins Ohr. Aus Bernhard Junkers Gesicht scheint plötzlich jegliche Farbe gewichen zu sein. Mit erstarrter Miene hört er zu. Es wird still im Raum. Der Saaldiener verläßt im Laufschritt den Salon. Knarzendes Parkett unter den dicken Teppichen.
    Bernhard Junker erhebt sich. »Meine Herren!« Man hält den Atem an. Irgendwo im Foyer fällt klirrend ein Glas zu Boden. Unruhe auf der Straße, von den geschlossenen Fenstern und schweren Vorhängen gedämpft, aber nicht verborgen. Geschrei. Licht, das durch einen Vorhangspalt fällt und bricht. Ein Farbenspiel. Angespannte Mienen.
    Mit bemüht fester Stimme erklärt Bernhard Junker knapp: »Meine Herren, soeben erreicht uns die Nachricht: Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. Wir haben Krieg.«

Auf verschiedenen Seiten
    Langsam sinkt Bernhard Junker in seinen Sessel zurück. Stille im Raum. Für eine Weile herrscht vollkommene Bewegungslosigkeit. Erstarrung, als könne man mit dem eigenen Atem auch die Welt anhalten, den rasenden Gang der Geschichte, der die achtzig Männer im Salon des Petersburger Astorija überrollt hat und mit sich reißen wird. Ausweglos. Ihre Zeit ist Vergangenheit, ihre Welt ausgelöscht. Innerhalb von Augenblicken. Ein Atemzug zwischen Gestern und Heute, Frieden und Krieg, Hoffnung und Ohnmacht. Ihre Zukunft verglüht im Feuerstoß der Geschichte. Man versucht, das Unfaßbare zu begreifen, dem Unvermeidlichen ins Auge zu sehen. Mühsames Tasten, als wäre man aus dem hellen Licht der Sonne in einen düsteren, schwarzen, völlig unbekannten Raum gekommen. Die Sinne haben sich noch nicht daran gewöhnt. Bewegungen und Gedanken wie in einer langsamen Folge von Standphotos.
    »Wir haben Krieg« tönt es wie ein Echo in Heinrich Bockelmanns Kopf immer und immer wieder nach. Auch in der Wiederholung bleibt der Satz fremd, unbezwingbar in seiner grausamen Banalität.

    Langsam und fast unmerklich verlassen die ersten der achtzig Männer den Raum. Die äußersten Tische lichten sich. Einige bleiben sitzen, verloren im Unbegreiflichen, das sie vor der Tür des noblen Hotels, in der Wirklichkeit der Zarenstadt erwarten wird. Jeder ist auf sich allein gestellt. Freunde verabschieden sich mit Handschlag, manche umarmen sich. Nirgends ist mehr ein Diener zu sehen.
    Das Geschrei auf der Straße schwillt an. Die Nachricht spricht sich herum. Brodelnde Hektik, die sich unaufhaltsam ausbreitet.
    Roman Antonowitsch Lehmann ist aufgestanden. Schweigend steht er hinter dem Vorhangspalt am Fenster, öffnet es ein Stück, blickt geschützt vor den Blicken der Passanten auf die Straße, verharrt bewegungslos.
    Noch nie hat die Stadt so geklungen. Jeder bewegt sich im Laufschritt, eilt nach Hause oder in die Kaserne oder schließt sich den größeren Menschengruppen an auf der Suche nach Informationen. Man treibt die Pferde an. Klappernde Hufe, ratternde Räder, hupende Automobile. Stimmengewirr aus unzähligen Kehlen. Ängstlich und siegessicher. Überreizt. Erste Rufe von Zeitungsjungen: »Extrablatt! Deutschland hat uns den Krieg erklärt! Extrablatt!« Mit immer größerer Wucht schlagen die Wogen des Unabwendbaren gegen die Bastionen verlöschender Macht.
    Leise schließt Roman Antonowitsch Lehmann das Fenster wieder. Noch einen Moment lang innehalten, sich sammeln, versuchen zu begreifen. Noch einen Moment lang hoffen auf ein glückliches Erwachen aus einem grausamen Alptraum, ehe man sich der neuen Lage stellt. Immer und immer wieder hat man in den letzten Wochen versucht, sie sich vorzustellen, sich vorzubereiten, gewappnet zu sein. Immer und immer wieder hat man alle Eventualitäten durchdacht und im Geiste durchlitten, hat Hoffnungen und Ängste geschürt und verworfen und versucht, auf alles vorbereitet zu sein. Doch die Wirklichkeit bleibt unbezwingbar und trifft wie ein Schlag aus einem völlig dem Blickfeld entzogenen Hinterhalt.
    Es wird wenig gesprochen. Leise. Niemand wagt es, seine Stimme zu erheben. Geruch nach kaltem Rauch. Lärm und rege Betriebsamkeit vor der Tür. Im Foyer brüllt jemand etwas in ein Telefon. Man wartet vergeblich auf eine Leitung. Die Familie in Moskau zu erreichen, ist demnach aussichtslos. Heinrich wird es
später von der Petersburger Filiale der Bank aus versuchen. Der erste klare Gedanke. Sorge um die Frau, die Söhne. Zum Glück ist

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