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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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dafür.«
    Der junge Mann blickt eindringlich in die Runde und in einzelne der versteinerten Gesichter, fährt dann voll Verachtung fort: » Ihr seid es doch, die diesem Land diesen Schaden, diese unmenschliche Kluft zwischen arm und reich zugefügt habt! Ihr habt immer
nur den Reichen zugearbeitet, habt dem herrschenden, menschenverachtenden Regime gedient und nach dem Mund geredet, und die einfachen Leute, die, von denen ihr lebt, sind auf eurer Strecke geblieben. Aus dem Land jagen sollte man euch Ausbeuter!«
    Ein allgemeiner Aufschrei. Die Erstarrung entlädt sich in Wut, Chaos. Gebrüll.
    »Jetzt ist aber Schluß!«
    »Das hör ich mir nicht länger an!«
    »Nun bringt doch endlich diesen roten Terroristen zum Schweigen!«
    »Raus!«
    »Halt endlich dein verfluchtes Schandmaul!«
    »Wie kann dieser verzogene Lümmel es wagen, uns so in den Rücken zu fallen!«
    Jeder versucht, den anderen zu übertönen.
    »So tun Sie doch etwas!« wendet Bernhard Junker sich hilfesuchend an den Baron.
    Fritz Eggler stößt, vor Aufregung wild gestikulierend, versehentlich eine Karaffe mit Portwein um. Ein Diener ist sofort zur Stelle.
    Der Baron springt endlich auf, packt seinen Sohn am Kragen. Ein letzter, verzweifelter Versuch, Autorität zurückzugewinnen. Zornesröte in seinem Gesicht. Mit sich überschlagender Stimme brüllt er: »Hör sofort auf! Du weißt nicht mehr, wer du bist! Wie kannst du es wagen? Ist das der Dank dafür, daß ich dich sogar zu Lenin nach Krakau habe fahren lassen? Ist es das, was man euch dort beibringt? - Ist das euer neuer Anstand?« Er versucht, seinen Sohn zu schütteln, doch dieser weicht einen Schritt zurück, stößt seinen etwas behäbigen, massigen Vater mit der Kraft seiner Jugend einfach zurück in seinen Sessel. Die Augen zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen, erklärt er mit aufgebrachter Ruhe:
    »Wage es ja nicht, mich noch einmal anzufassen, Vater! Das tust du nie wieder. Ich habe keine Angst mehr vor dir. Vor niemandem. Du tust mir nur noch leid.«
    Und an die anderen im Raum: »Wenn man euch einmal die Wahrheit sagt, das könnt ihr nicht verkraften. Aber die Zeit der Wahrheit ist gekommen, auch für euch! Ihr werdet schon sehen. Fortjagen, das ist die richtige Antwort auf euch Parasiten. Zurück
in euer wunderbares Deutschland mit Wilhelms verlogenen Sozialreformen, die uns klein halten sollen. Aber auch dort werdet ihr dem Umsturz nicht entgehen. Die Zeit der Monarchien ist vorbei. Und sollte es Krieg geben, dann freue ich mich darauf! Wenn der Zar und alle Kaiser und Könige auf der Welt damit beschäftigt sind, sich die Köpfe einzuschlagen, dann ist endlich unsere Zeit gekommen. Denk an meine Worte, Vater!«
    Er hält inne und fährt scheinbar gelassener fort: »Du hast meinen und unseren Kampf für Gleichstellung immer als lächerliche Spinnerei abgetan. Du hast mich nie ernstgenommen. Nun werde ich dich dazu zwingen. Sie alle hier. Ich wünschte, du würdest mich verstehen, Vater, aber ich kann nicht anders!« Er leert seine Taschen, wirft Münzen und ein Bündel Scheine vor dem Baron auf den Tisch. »Ich möchte nie mehr im Leben einen einzigen Rubel von deinem dreckigen Geld haben!« Dann geht er schnellen Schrittes zur Tür, die ein Diener ihm dienstfertig und in gebückter Haltung öffnet. In der Tür dreht er sich noch einmal um, hebt zum sichtlichen Erstaunen des Dieners seine geballte rechte Faust, ruft »Alle Macht den Räten, alle Macht dem Volk!« und geht.
    Der Baron ist blaß geworden, ringt um Atem. In wenigen Augenblicken um Jahre gealtert, blickt er seinem Sohn nach, unfähig, sich zu erheben, sich ihm in den Weg zu stellen. All seine kraftstrotzende Durchsetzungskraft, sein gesellschaftliches Gewicht und sein Rang lassen ihn keine Antwort auf die Fragen und Vorwürfe des Sohnes finden. Die Zeiten haben sich schon geändert. Er hat ihnen nichts mehr entgegenzusetzen. Schweigend sammelt er mit hilfloser Geste die Münzen und Scheine auf, weist die Hilfe des herbeigeeilten Dieners zurück.
    Jede Kampfeslust ist aus seinen nun fast rührend-kindlichen Gesten und seinem um Souveränität bemühten Blick gewichen. Die Versammlung droht auseinanderzubrechen. Der Baron, offensichtlich bemüht, dies zu verhindern, macht Anstalten, sich zu erheben, zu einer Entschuldigung anzusetzen, wie es der Ehrbegriff von ihm verlangt, als ein Saaldiener in verhaltenem Laufschritt eintritt und sich sichtlich erregt Bernhard Junker nähert. Jenseits aller Regeln der Etikette

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