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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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melden? Was mochte diese Frage zu bedeuten haben? Ist er der Reichste hier? Woher soll er das wissen? Und worauf will der Kommandant überhaupt hinaus?
    Chaos in Heinrichs Gedanken. Er will das Richtige tun. Er spürt die Blicke der anderen auf ihm ruhen. Er hat keine Wahl. Er muß handeln.
    Eine kleine Bewegung mit dem Arm, langsam, um die Soldaten nicht zu provozieren. »Ob ich hier der Reichste bin, das weiß ich nicht, aber ich hatte durch meinen Beruf bestimmt am meisten von allen hier mit Geld zu tun.«

    Der Kommandant lächelt. »Eine kluge Antwort. Soll mir recht sein. Kommen Sie bitte mit!«
    Drinnen riecht es modrig. Einfache Möblierung, an der der Zahn der Zeit bereits offenkundig nagt. Eine Ecke mit dem typisch russischen Tand: ein Zarenbild im reichverzierten Rahmen, Ikonen, Kerzen. Ansonsten triste Sachlichkeit. An einer Wand ein einfacher Bettkasten, wie Heinrich ihn aus der Butyrka kennt. Das Nachtlager des Kommandanten.
    Er weist Heinrich einen Stuhl zu, bietet ihm eine Tasse eines erstaunlich dünnen Gebräus an, das er als Tee ausgibt. Heinrich nimmt es dankbar an, noch unsicher, ob er dem freundlichen Verhalten trauen soll oder nicht. Der Mann wirkt nicht unsympathisch, klug, ein Gestrauchelter des Systems.
    »Was hat Sie hierherverschlagen?«
    Schon die erste Frage konnte eine Falle sein. Heinrich zögert.
    Der Kommandant lacht, ohne seine Antwort abzuwarten. »Sie müssen hier nicht auf der Hut sein. Ich urteile nicht über Sie. Dies ist kein Verhör. Ich möchte nur mit Ihnen sprechen. Man hat ja so selten die Gelegenheit dazu.«
    Heinrich sieht den Kommandanten zweifelnd an. »Ich weiß nicht«, entschließt er sich schließlich zu sagen. »Das ist eine lange Geschichte … Man hat mich am Bahnhof verhaftet, als ich meine Familie zum Zug begleitet habe. Sie hatten ein Ausreisedokument, ich nicht. Man wirft mir einen Fluchtversuch vor.«
    »Und? Wollten Sie fliehen?«
    Heinrich schüttelt den Kopf. Ein knappes »Nein.« Keine Erklärung.
    Der Kommandant glaubt ihm offensichtlich nicht. »Und selbst wenn. Ich könnte es Ihnen nicht verdenken. Wer will schon hier leben, am Ende der Welt. Das ist doch nichts für jemanden wie Sie.«
    Heinrich zuckt mit den Schultern. »Habe ich denn eine Wahl?«
    Der Kommandant blättert ein wenig gedankenverloren in einer Akte. »Nein. Natürlich nicht.« Er hält inne, hat offenbar in der Kladde etwas gefunden. »Im übrigen verdächtigt man Sie der Spionage, wußten Sie das?«
    Heinrich schüttelt entsetzt den Kopf. »Nein, das muß ein Irrtum sein.«
    »Sie hatten doch wohl bis in die kürzere Vergangenheit intensive
Kontakte zu in- und ausländischen Unternehmern, Diplomaten, Politikern, einflußreichen Menschen - und auch zur Stahlindustrie.«
    Heinrich nickt. »Ja, selbstverständlich! Das gehört doch zu meinem Beruf.«
    Der Kommandant geduldig: »Na, sehen Sie, es wird Sie doch wohl nicht verwundern, daß das in Zeiten wie diesen verdächtig ist? Stahlindustrie, Waffenindustrie … Diesen Zusammenhang werden Sie doch wohl nicht leugnen wollen!?«
    Heinrich fühlt das Brennen der Gefahr in sich aufsteigen. Spionage. Das konnte wirklich seinen Tod bedeuten. »Aber …«
    Der Kommandant unterbricht ihn: »Beruhigen Sie sich. Sie haben offenbar immer noch nicht begriffen. Das alles spielt letztendlich nicht wirklich eine Rolle. Sie sind hier, und Sie werden es auch bleiben, zumindest bis dieser Krieg vorbei ist, und ob dann noch ein Prozeß gegen Sie angestrengt werden wird, wer kann das heute schon voraussehen.«
    Der Kommandant sieht Heinrich aufmunternd an, fährt dann im Plauderton fort: »Auch mir gefällt das Leben hier nicht, aber wie das Schicksal eben so spielt …« Er unterbricht sich. Ehe er zu vertraulich wird und Heinrich vom Grund seiner Strafversetzung an diesen abgelegenen Ort erzählt, wechselt das Thema: »Aber es hätte schlimmer kommen können, vor allem für Sie.«
    Heinrich sieht ihn abwartend an.
    »Man hat Sie nur hierhergebracht, um Sie an staatsfeindlichen Umtrieben zu hindern, um Sie von Ihren mächtigen Freunden in Moskau zu isolieren. Dies hier ist kein Straflager, nur ein Verbannungsort. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied.«
    Er macht eine Pause, zündet sich eine Papirosa an, bietet auch Heinrich eine an. »Etwas Besseres kann auch ich Ihnen hier leider nicht anbieten. Ein mieses Kraut, aber besser als gar nichts …« Heinrich nimmt einen vorsichtigen Zug, kann das Husten trotzdem nicht vermeiden, dann fährt der

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