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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Kommandant fort. »Wir könnten hier alle eigentlich ein ganz schönes, erträgliches Leben haben, aber die Zeiten sind hart, der Staat hat durch den Krieg nahezu keine Mittel mehr für uns. Man gibt uns nicht einmal mehr das Nötigste, und das reicht nicht einmal, um diesen Ort und alle Gefangenen hier am Leben zu erhalten.«

    Er seufzt betrübt. »Wissen Sie«, beginnt er zu erklären. »Wir haben hier in Wjatka nichts als Probleme. Es fehlt hier einfach an allem. Früher mal, als dies noch der Verbannungsort der russischen Elite war, als der berühmte Architekt Wittberg und andere große, staatskritische Künstler hier waren, berühmte Spione, die die Welt in Atem gehalten haben, Staatsfeinde, die etwas bewegt haben, da hat der Ort hier geblüht. Das waren noch Persönlichkeiten, die zu leben verstanden haben. Zu ihrer Zeit, da hätten Sie Wjatka einmal sehen sollen! Da wurde gebaut und erschlossen, ein kleiner Park angelegt, sogar eine sehr schöne Bibliothek, es waren viele Kaufleute hier, die hier ihre Läden errichtet haben, der Staat hat einiges gegeben, und es ging dem Städtchen gut. Jetzt aber …« Er hält inne, macht eine verächtliche, wegwerfende Handbewegung. »Nur noch kleingeistige Weltverbesserer, bedeutungslose adelige Aufwiegler und irgendwelche armseligen Kommunisten, die keinen Finger krumm machen. Sogar ganz gewöhnliche Kriminelle schickt man uns neuerdings, weil die Gefängnisse voll sind. Das schadet dem Ort und uns allen. Alles verkommt und verfällt, nichts Neues entsteht mehr, es ist ein Jammer.«
    Er zieht an seiner Papirosa, löscht sie dann einfach auf dem Holztisch, wischt sie zu Boden und sieht Heinrich neugierig-interessiert an. »Vielleicht wird’s mit euch tüchtigen Deutschen ja jetzt besser.« Der Kommandant lacht trocken.
    Heinrich weiß nicht, ob er das Lachen teilen soll. Er lächelt abwartend.
    Der Kommandant fährt eindringlich fort: »Geradeheraus gesagt: Wir brauchen dringend Geld, damit der Ort sich finanzieren kann, damit die dringend nötigen Reparaturen durchgeführt werden können, damit wir die Gefangenen ernähren, vielleicht sogar das eine oder andere bauen können. Wir müssen uns irgendwie selbst helfen.« Er macht eine effektvolle Pause, sieht Heinrich gespannt in die Augen. »Sie sind immerhin einer der berühmtesten und mächtigsten Männer der Wirtschaft gewesen. Sie sehen: Ich bin im Bilde.« Er lächelt. »Zur Sache: Können Sie sich vorstellen, eine größere Geldsumme zu beschaffen und damit sich selbst und uns allen hier zu helfen? Sie würden dann selbstverständlich im schönsten Haus der Stadt einquartiert, zwar mit drei anderen zusammen, anders geht es zur Zeit leider nicht, aber es würde Ihnen
hier an nichts fehlen, und wir alle in diesem Ort wären Ihnen dankbar. Es würde Ihr Schaden nicht sein.«
    Heinrich denkt einen Augenblick lang über diese fast unglaubliche Bitte nach, finanziell für das Lager aufzukommen, in dem er selbst festgehalten wird. Ungewöhnliche Situationen erforderten eben ungewöhnliche Lösungen. Auch hier am Ende der Welt.
    Er nickt. »Aber dann müßten Sie mich natürlich irgendwie nach Moskau fahren lassen. Einen größeren Betrag kann ich anders nicht beschaffen. Wie Sie wissen, bin ich in der Bank entmachtet, aber vielleicht läßt sich über Beziehungen und mein privates Aktienkapital etwas arrangieren. Ich habe da so meine Quellen. Aber das kann ich natürlich nicht von hier aus in die Wege leiten.«
    Der Kommandant nickt. »Natürlich. Aber über eines müssen Sie sich im klaren sein. Wenn Sie fliehen, oder wenn Sie auch nur den Versuch unternehmen zu fliehen, sind Sie ein toter Mann. Dann kann Ihnen nichts und niemand mehr helfen. Und übrigens: Über die Grenze würden Sie es ohnehin niemals schaffen. Man würde Sie aufspüren, und dann wird man Dinge mit Ihnen machen, die Ihnen unser kleines Wjatka wie das Paradies auf Erden erscheinen lassen. Also keine Tricks. Haben wir uns verstanden?«
    Heinrich nickt. »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Aber bitte: Lassen Sie mich Kontakt mit meiner Familie aufnehmen. Ich muß wissen, ob es ihnen gutgeht und sie wissen lassen, daß ich noch lebe!«
    Der Kommandant lächelt. »Alles zu seiner Zeit. Morgen werden Sie erst einmal in unserem schönen Vorzeigehäuschen einquartiert, und zu gegebener Zeit, wahrscheinlich früher als Sie denken, werden wir alles andere besprechen.«
    Man verabschiedet sich mit einem Handschlag. Dann schlägt der Kommandant die Hacken zusammen.

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