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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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untergebracht zu werden, dann kann er schon in wenigen Stunden in Freiheit sein. Heinrich wagt es kaum, daran zu denken.
    Er nähert sich dem Bahnhof. Ganz außen Gleis Nummer 8. Schwach beleuchtet. Er folgt dem Bahnsteig, der, je weiter Heinrich geht, immer dunkler wird. Heinrich fragt sich bereits, ob der Schaffner sich mit dem Bahnsteig, dem »Wikinger« geirrt hatte, als er zwei Gleisarbeitern begegnet. Er zögert, entschließt sich dann doch zu fragen. »Wladimir, der Wikinger?« Die beiden nikken, weisen noch weiter in die Dunkelheit. »Dort hinten. In der Hütte. Suchst du Arbeit?«
    Heinrich zuckt mit den Schultern. »Mal sehen. Zahlt man denn hier gut?«
    Die beiden lachen, als hätte Heinrich einen Scherz gemacht. »Wo zahlt man heutzutage noch gut! - Aber Arbeit ist Arbeit, und es gibt jeden Tag ein warmes Essen.«
    Nach einigen Minuten entdeckt Heinrich tatsächlich eine kleine, primitive Blockhütte zwischen den Gleisen. Im Fenster das schwache Licht einer Petroleumlampe. Heinrich zwingt sich, nicht zu zögern und klopft beherzt an. Kräftig wird die Tür aufgerissen. »Ja?«
    Ein Hüne mit breiten Schultern, roten, langen Haaren und ebenso rotem, vollem Bart steht vor Heinrich und sieht ihn fragend an.
    »Wenn du Arbeit suchst. Da vorn steht ein Waggon mit Stahlrohren. Gerade angekommen. Wird dringend gebraucht. Du kannst beim Ausladen helfen. 6 Kopeken die Stunde. Eine Schicht dauert 12 Stunden. Um 8 Uhr gibt es zu essen.«
    Er schickt sich bereits an, die Tür wieder zu schließen, als Heinrich den Kopf schüttelt. »Ich suche keine Arbeit. Boris schickt mich.«
    Der »Wikinger« sieht Heinrich überrascht an, dann tritt er einen Schritt zurück, läßt ihn eintreten.
    Ein winziger Tisch, zwei Klappstühle, eine Liege. Pläne mit für Heinrich völlig unverständlichen Zeichen und Anweisungen auf dem Tisch. Daneben ein Samowar. Wladimir Kekkonen bietet
Heinrich eine Tasse Tee an und wartet vorsichtig ab. »Über die Grenze?«
    »Ja.«
    Kekkonen schweigt. Er beugt sich über seine Pläne, streicht sich durch den dichten Bart, murmelt etwas, schüttelt dann den Kopf, sucht mit dem Finger irgendein besonderes Zeichen auf seinen Listen. Dann hält er inne. »In gut zwei Stunden. Gleis 11. Eine Lieferung mit Maschinenteilen nach Turku. Das müßte gehen. Kommen Sie in einer Stunde wieder hierher, dann bringe ich Sie hin. Aber bequem wird’s nicht. Und ganz billig auch nicht.«
    Heinrich nickt. »Wieviel?«
    Der Wikinger mustert Heinrich eingehend, offensichtlich, um abzuschätzen, wieviel bei ihm zu holen ist. »Können Sie 60 Rubel bezahlen?«
    Heinrich nickt zögernd.
    »Gerade so«, lügt er, um sich nicht als Kapitalist zu entlarven.
    Der Wikinger nickt. »In Ordnung. Geben Sie mir 50.«
    Heinrich zählt das Geld unter dem Tisch ab, legt es auf die vor ihnen liegenden Pläne. Der Wikinger steckt es sofort ein. »Und jetzt gehen Sie. In einer Stunde wieder hier!«
    Heinrich tritt wieder in die Dunkelheit.

Fahrt ins Ungewisse
    Diesmal tritt der Wikinger auf Heinrichs Klopfen hin sofort aus der Tür. »Kommen Sie.« Man geht quer über die Gleise zum anderen Bahnsteig. Heinrich hatte die Zeit sitzend neben einem schlafenden Bettler an einer Außenwand des Bahnhofs verbracht und hatte mühsam gegen die Müdigkeit angekämpft, die er sich in diesen Stunden nicht leisten konnte, und ständig auf der Hut, ob jemand sich näherte. Doch es war ruhig geblieben.
    Erste Dämmerung am Horizont. Kekkonen geht schnellen Schrittes. Heinrich hat Mühe mitzuhalten.
    Die schwache Beleuchtung des Bahnsteigteiles taucht den bereitstehenden
Güterzug und die daran beschäftigten Arbeiter in ein fast unheimliches Licht. Der Wikinger gibt ihnen ein Zeichen, betritt gemeinsam mit Heinrich den Zug. Er schiebt einige Kisten zur Seite, bildet so eine Höhle und bedeutet Heinrich, sich hineinzulegen.
    »Nach etwas mehr als zwei Stunden Fahrt sind Sie sicher in Finnland. Warten Sie lieber drei Stunden. Wenn der Zug zwischendurch steht, ziehen Sie diese Haltezeiten von der Fahrzeit ab. Sollte die Tür vorher geöffnet werden, verhalten Sie sich ruhig. Danach können Sie irgendeinen Halt benutzen um herauszusteigen. Von da an sind Sie wieder auf sich gestellt. Aber in Finnland droht Ihnen keine Gefahr mehr. Sie können auch an die Tür klopfen, dann holt man Sie heraus. Sagen Sie nicht, wer Ihnen geholfen hat und wo Sie eingestiegen sind. Sagen Sie, Sie seien bei langsamer Fahrt aufgesprungen. Viel Glück.« Er schiebt die Kisten

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