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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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gleichzeitig so unendlich banal. Wie füllt man Stunden, die so unermeßlich kostbar sind? Wie schafft man sich Erinnerungen, Intensität, etwas, das während
der langen Trennung bleibt? Für einen aufwendigen Abend fehlt uns natürlich das Geld. Eine kleine Kneipe, ein Drink, ein Imbiß, das ist das höchste der Gefühle. Den Rest muß unsere Phantasie besorgen. Und die herbe Romantik dieses Hafens. Ein passender Ort für einen Abschied.
    Stiller Kampf in mir. Es wäre der Zeitpunkt für Treueschwüre, für Versprechungen, für ein »Nichts auf der Welt kann uns beide jemals wirklich trennen.« Wie gern würde ich es aussprechen, zu der Verantwortung stehen, die die lange gemeinsame Zeit mir auferlegt. Verantwortung, die Gitta nie von mir gefordert hat und die doch im Raum steht.
    Man kann nicht immer unverbindlich bleiben. Gespräche mit meinem Vater, kurz vor der Abfahrt geführt: »Du mußt dir langsam überlegen, was du vom Leben willst, Junge! Eine Frau wie Gitta ist nicht für ein ›Bratkartoffelverhältnis‹ gemacht. Sie ist eine Frau, zu der man steht oder die man freigibt. Du wirst eine Entscheidung treffen müssen. Was du im Augenblick tust, ist nicht sehr fair.«
    Gitta ahnt nichts von diesem Gespräch. Sicher hat mein Vater recht, und vielleicht wartet sie auch wirklich auf ein Zeichen von mir, eine Bindung, ein »Zu-ihr-Stehen«, auch wenn sie es mir nicht zeigt. Doch ich fühle mich zu jung dafür mit meinen noch nicht einmal 23 Jahren. Die ganze Ungewißheit der Zukunft vor mir wie ein undurchdringlicher Nebel, aber auch wie eine geheimnisvolle Freiheit, die ich nicht aufgeben kann. Ratlosigkeit. Ausflüchte vor mir selbst. Immer wieder vertagte Entscheidungen.
    Es ist eigentlich genau das Unmögliche, was ich im Augenblick will: Freiheit und Geborgenheit. Gleichzeitig.
    Vielleicht fehlt mir aber auch einfach noch die nötige Reife. Bestimmt wird es mit der Zeit leichter, diese Entscheidung zu fällen. Dann werde ich es fühlen. Noch bin ich einfach nicht soweit, bewundere meinen Bruder Joe, der in wenigen Wochen den Schritt in die Ehe wagen will und fühle gleichzeitig schmerzliche Beklemmung bei der Vorstellung, an seiner Stelle zu sein. Dilemma zwischen Ritter und Schuft. Dafür, daß Gitta mich damit nicht bloßstellt, liebe ich sie.
    Eine kleine, liebenswert heruntergekommene Kneipe am Hafen. Wunderbar unordentlich. Vielleicht genau das richtige für
einen Moment wie diesen. Etwas abgewetzte Ledersofas in kleinen Nischen. Geruch nach kaltem, abgestandenem Rauch, eine schweigende Musicbox, das rhythmische Klacken eines nicht mehr ganz neuen Ventilators, der, bei jeder Umdrehung leicht schaukelnd, die warme, stickige Luft nicht abkühlt, sie nur verteilt.
    Es ist wenig los zu dieser Stunde. Ein Mann in abgerissener Kleidung sitzt unrasiert mit geröteten Augen vor einem fast leeren Glas Bier und stiert ins Nichts. Ein anderer liest Zeitung, einen kleinen, beigen Leinenseesack neben sich, die typische Schiffermütze auf dem Kopf. Ein schwarzer Kellner trocknet Gläser ab. Aus dem Radio die »Platters« mit »Only You«. Der Kellner sieht uns fragend über den Tresen hinweg an. Wir bestellen jeder ein Heineken.
    Blick aus dem Fenster: Die »Helsinki« wird entladen. Kräne heben riesige Ballen, Kisten, Fässer auf die Pier. Ein blauäugiger, breitschultriger, ein wenig grob und rauh wirkender Hüne mit roten, langen Haaren und ebenso rotem Vollbart diskutiert mit schwerfälligen, großen Gesten mit einem Zollbeamten, und ich muß lächelnd an den »Wikinger« denken, Wladimir Kekkonen, der meinem Großvater das Leben gerettet hat. Vielleicht so etwas wie ein gutes Omen.

»Songs For Swingin’ Lovers«
    Rauschen, Quietschen und Pfeifen aus dem Radio. Der Kellner sucht einen neuen Sender. »No good music«, erklärt er strahlend auf meinen fragenden Blick. »Something swingin’ - that’s what I’m looking for … You know?«
    Ich nicke, verstehe ihn sehr gut, besser, als er vielleicht denkt. Ein holländischer Schlager dröhnt aus dem Lautsprecher. Der Kellner dreht schnell weiter. Auch die neue, erfolgreiche weiße Rockmusik aus den USA findet nicht seine Gnade. Bill Haleys »Rock Around the Clock« - der Kellner gibt ihm nicht einmal zwei Takte. »This is no music …«
    Rauschen, Quietschen und Pfeifen, und dann, plötzlich, eine
vertraute, unnachahmliche Stimme, die seit Jahren die Welt bewegt; leicht und spröde, ernst und heiter zugleich. »The Voice« Frank Sinatra. Zufriedenes Nicken beim

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