Der Mann mit den hundert Namen
in der Dunkelheit verschwunden. Den Koffer und die Ausweistasche, die in Doyles Nylonjacke steckte, hatte er nicht an sich genommen, nur ein paar hundert Dollar und seinen Reisepaß. Sobald die Polizei den scheinbaren Unfall entdeckt und das Fahrzeug aus dem Wasser gehievt hatte, würde sie die Bierdosen finden. Daraus würde sie folgern, daß der Fahrer – Victor Grant, wie dem Ausweis in der Brieftasche und dem Vertrag mit dem Autoverleiher im Ablagefach zu entnehmen war – unter Alkoholeinfluß durch das Gitter gefahren und ertrunken war. Wenn man die Leiche nicht fand, würde man Taucher und Schleppnetze einsetzen, aber bald aufgeben und zu dem Schluß kommen, daß sie in wenigen Tagen ohnehin irgendwo an die Oberfläche steigen würde. Sollte das nicht eintreten, würden die Beamten annehmen, die sterblichen Reste seien entweder unter einem Kai eingeklemmt oder von der Strömung auf die offene See getrieben worden. Was noch wichtiger war: Buchanan hoffte, auch Bailey würde das annehmen.
Jedenfalls hatte der Colonel Buchanan befohlen, Victor Grant verschwinden zu lassen. Buchanan hatte Doyle und seiner Frau nicht erzählt, was er plante, denn sie sollten wirklich überrascht sein, wenn die Polizei sie verhörte. Grants Verschwinden würde den Zusammenhang zwischen Buchanan und Bailey zerstören und Buchanan von den Ereignissen in Mexiko trennen. Falls die mexikanischen Behörden sich entschlossen, den Fall Victor Grant noch einmal aufzurollen, und die Amerikaner um Unterstützung baten, gäbe es niemanden mehr, gegen den man ermitteln konnte.
Alle Probleme gelöst, dachte Buchanan, als er vom Unfallort weglief und erst in einer dunklen Nebenstraße langsamer wurde. Bis zum Morgen würde er irgendwo unterschlüpfen, sich einen Rasierer kaufen und in einer öffentlichen Toilette waschen. Dann wollte er die vierzig Kilometer nach Miami mit dem Bus zurücklegen. Die Eisenbahn würde ihn von dort als anonymen Passagier nach Norden bringen, nach Washington. Es war höchste Zeit für einen neuen Anfang.
Nur etwas bereitete ihm Kopfzerbrechen. War es so sicher, daß der Colonel alle Fotos und Negative in die Hand bekam? Wenn Bailey nun in die erstbeste Herrentoilette ging, die Scheine aus der Box nahm und diese einfach dort stehenließ? Wenn das geschah, wäre das Beobachterteam nicht in der Lage, Bailey zu seinem Versteck zu folgen, wo sich wahrscheinlich die Aufnahmen befanden. Und schließlich war da noch diese Frau, die ihn vor dem mexikanischen Gefängnis, auf der Jacht und auf dem Waterway geknipst hatte. Sollte Bailey sie bezahlt haben und sich nie wieder mit ihr treffen, dann war sie für das Team unauffindbar.
Buchanan eilte durch eine einsame, teure Wohngegend, darauf vorbereitet, hinter einem der zahlreichen Blütensträucher Deckung zu suchen, sobald sich Scheinwerfer näherten. Im Grunde ist es völlig egal, sagte er sich, ob Bailey die Kühlbox irgendwo stehengelassen hat und das Team weder Fotos noch Negative findet. Die Aufnahmen haben ohnehin keinen Wert mehr. Weder für Bailey noch für den Mann, den er erpreßt hat. Denn beide sind tot.
18
Explosion – drei Tote
Fort Lauderdale – Gestern abend, kurz vor Mitternacht, zerstörte eine Explosion ein Auto auf dem Parkplatz von »Paul’s on the River«. Der Insasse, durch einen Rest seines Führerscheins als Robert Bailey, 48, aus Oklahoma identifiziert, verbrannte in dem Wagen. Des weiteren starben zwei Gäste, die das Restaurant gerade verließen. Verkohlte Schnipsel einer beträchtlichen Geldsumme wurden am Tatort gefunden. Die Behörden gehen davon aus, daß die Explosion mit dem seit kurzem eskalierenden Krieg zwischen Drogenhändlern in Zusammenhang steht.
19
Mord – Selbstmord
Fort Lauderdale – Von einem Nachbarn telefonisch herbeigerufen, untersuchte die Polizei heute morgen eine Schießerei in der Glade Street, Plantation. Sie fand Jack Doyle (34) und seine Frau Cindy (30) tot in ihrem Haus, beide durch Kugeln getötet. Es wird angenommen, daß Mr. Doyle, über die Krebserkrankung seiner Frau verzweifelt, die Schlafende mit einem 38er Revolver erschoß und anschließend Selbstmord beging.
20
Halbinsel Yucatán
Jenna Lane zog noch eine Gerade auf die vor ihr liegende Karte, obwohl es schwerfiel, sich bei dem Getöse der Bulldozer, Laster, Jeeps, Kettensägen, Generatoren und dem Gebrüll der Bauarbeiter zu konzentrieren. Am Rand von Büchern gehalten, war die Karte auf einem Block ausgebreitet, der in
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