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Der Mann mit den hundert Namen

Der Mann mit den hundert Namen

Titel: Der Mann mit den hundert Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Morrell
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Verdammt, finden Sie es doch selber raus.«
    Vor dem Postamt stieg gerade ein Fahrgast aus einem Taxi. Buchanan warf sich hinein und nannte sein Ziel. Der Fahrer fädelte sich in den Verkehrsstrom ein, und Buchanan hörte noch Hollys beinahe verzweifelt klingenden Ruf:
    »He, wohin fahren Sie, Buchanan?«
    Aber er war nicht mehr Buchanan.

9
 
    Um Juana in New Orleans zu helfen, mußte er Peter Lang auferstehen lassen, denn schließlich hatte dieser ihr seine Unterstützung versprochen. Und Peter Lang hatte sich in sie verliebt. Doch Holly McCoy verfolgte nicht Peter Lang, sondern Brendan Buchanan. Also mußte dieser die Journalistin täuschen und von ihrem Vorhaben abbringen. Also würde sich Peter Lang als Buchanan ausgeben müssen, der wiederum Peter Lang spielen würde, um die Orte zu besuchen, die ihm vor sechs Jahren so gefallen hatten.
    Peter Lang wäre sicherlich in einem Hotel im Französischen Viertel abgestiegen, das Brendan Buchanan theoretisch genausowenig kannte wie New Orleans und seine abendlichen Attraktionen. Also hatte er ein erstklassiges Hotel gewählt, das allerdings weit weniger malerisch war – das Holiday Inn-Crowne Plaza. Die Reservierung lautete auf den Namen Brendan Buchanan. Er trug sich ins Gästebuch ein und ließ sich zu seinem Zimmer im elften Stock bringen. Nachdem der Boy gegangen war, verriegelte er die Tür, nahm die Pistole und Victor Grants Paß aus der Reisetasche und steckte sie ein. Denn das Zimmer könnte ja durchsucht werden.
    Zwei Minuten später begab er sich über die Feuertreppe in das Foyer. Er sah sich nach allen Seiten um – Holly McCoy war nicht in Sicht –, verließ das Hotel und bestieg das Taxi, das er hatte warten lassen.
    »Wo soll’s denn hingehen, Sir?« fragte der Fahrer, ein älterer Schwarzer mit silberweißem Haar.
    »Zum Metairie-Friedhof.«
    »Jemand verstorben, Sir?«
    »Und ob.«
    »Beileid, Sir.«
    Im Sitz zurückgelehnt, bewunderte Buchanan scheinbar die Sehenswürdigkeiten, als das Taxi durch die Tchoupitoulas Street fuhr, die Schnellstraße 90 erreichte und sich der Metairie Road näherte.
    Wie viele andere alte Friedhöfe in New Orleans, so zeichneten auch den riesigen, im Jahre 1873 gegründeten Metairie Cemetery lange Reihen von Galeriegräbern aus. Jedes war mehr als dreißig Meter lang und vier Etagen hoch, mit Nischen versehen, die, nachdem man die Särge hineingeschoben hatte, zugemauert worden waren. Das am Mississippi gelegene Areal war so flach, daß Bestattungen im vorigen Jahrhundert wegen des feuchten Bodens über der Erde erfolgen mußten. Zwar hatte die moderne Kanalisation seither die Bodenfeuchtigkeit gesenkt, doch nun bestand eine Tradition, so daß die meisten Begräbnisse auch heute noch auf die alte Weise stattfinden.
    Peter Lang war häufig hierhergekommen, denn der Metairie Cemetery hatte ihm am besten gefallen. Als Vorwand für die Besuche diente seine Vorliebe für das Schaurige und sein Interesse für Geschichte; der wahre Grund jedoch war, daß sich die zahllosen Ecken und Winkel ausgezeichnet für tote Briefkästen eigneten.
    Diesmal trieb Buchanan-Lang ein anderes Motiv hierher: die Erinnerung an Juana. Sie hatte ihn oft bei seinen Besuchen begleitet, und bald entsprach ihre Bewunderung für alte Gräber der seinen. Er erinnerte sich ganz besonders daran, wie entzückt sie beim ersten Mal von dem Miniaturmausoleum der Josie Arlington war, vor vielen Jahren eine der bekanntesten Bordellwirtinnen der Stadt. Josie hatte verfügt, daß ihr Grab aus rotem Stein gebaut und mit Granitfackeln verziert werde. Als Buchanan-Lang nun vor dem Bauwerk stand, glaubte er Juanas Lachen zu hören. Der Dunst am Himmel hatte sich aufgelöst. Aus tiefem Blau stach unbarmherzig die Sonne, und in der plötzlichen Helle, die mit dem düsteren, zerfallenden Friedhof kontrastierte, wähnte er, Juana neben sich zu haben, mit zurückgeworfenem Kopf, strahlend lächelnd, die Hand auf seiner Schulter. Er hätte sie gern umarmt.
    Und an diesem Abend würde er es tun.
    »Ich hätte dich nie aufgeben dürfen«, sagte er, als hätte er Juana vor sich. »Mein Leben wäre ganz anders verlaufen. Ich habe ernst gemeint, was ich vor sechs Jahren sagte: Ich liebe dich. Zumindest liebt dich Peter Lang.«
    Und was ist mit Buchanan-Lang? fragte er sich.

10
     
    Sechs Uhr abends.
    Den Anweisungen folgend, wartete er in seinem Hotelzimmer. Zunächst spielte er mit dem Gedanken, beim Zimmerservice etwas zu essen zu bestellen, doch er hatte keinen rechten

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