Der Mann mit den zwei Gesichtern
Unterlagen gearbeitet haben, wissen Sie darüber doch bestens Bescheid und können aus dem Gedächtnis sprechen, oder?“
Franziska nickte mit fest zusammengepressten Lippen. Er hatte gut reden. Ihr Puls war nach oben geschnellt, sie fühlte ihre Schweißdrüsen anspringen. Improvisieren und frei reden – oh Gott, oh Gott.
„Sehen Sie, dort vorn ist die Klinik.“
Auf einer kleinen Anhöhe lag ein lang gestreckter, altherrschaftlicher Bau mit vielen Erkern und kleinen Türmchen. Davor, im Tal, eine recht kleine Ortschaft.
Gerd, der ihren Blick bemerkt zu haben schien, sagte: „Hab ich es Ihnen nicht gesagt, dieses Oberrain ist ein Nest.“
Die Lage war wunderschön. Eingebettet in die bewaldeten Hügel wirkte die Klinik wie ein herrschaftliches Schloss.
Hier zu arbeiten – Franziska sah um sich – musste herrlich sein.
Es war siebzehn Uhr achtzehn, als sie das Tor zum Klinikgelände durchfuhren. Knirschend stoppte der Wagen im Kies des Parkplatzes. Gerd sprang gleichzeitig mit Franziska aus dem Auto und folgte ihr zum Klinikeingang.
„Viel Glück“, sagte er und lächelte sie aufmunternd an.
„Danke, das kann ich brauchen.“ Franziska war völlig atemlos. Dennoch, sie musste sich jetzt erst noch verabschieden: „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll oder wie ich Ihnen danken kann, aber dass Sie mich hierher gebracht haben, war einfach großartig.“
„Gern geschehen“, sagte Gerd. „Aber nun sehen Sie zu, dass Sie reingehen. Ich bleibe dann hier.“
„Wie? Sie wollen warten?“ Erstaunt sah Franziska ihn an. „Warum?“
„Wie sollten Sie sonst wieder zu Ihrem Wagen kommen? Und wie den wieder flottkriegen?“ Gerd schüttelte vehement den Kopf. „Nein, ich warte hier – und wenn Sie die Stelle bekommen haben, wechseln wir den Reifen.“
„Das ist ...“ Franziska war zu überwältigt, um weitersprechen zu können. „Danke“, murmelte sie nur und öffnete die Tür. Tief durchatmend trat sie ins Foyer der Klinik. Sie musste sich jetzt konzentrieren.
Autopädie
Es war schon fast neunzehn Uhr, als Franziska die schwere Kliniktür erneut öffnete. Diesmal von innen. Sie trat hinaus in die Abendsonne und blieb einen Moment stehen. So lange es gedauert hatte, so ungut es auch gelaufen war, es war endlich vorbei. Ihr Kopf war wieder frei für … Nein, Gerd würde sicherlich nicht mehr da sein. Sie würde also gleich wieder hineingehen und am Empfang darum bitten müssen, dass man einen Pannendienst zu ihrem Wagen schickte – und ein Taxi für sie rief, damit sie in ein Hotel fahren könnte.
Den weißen Mercedes ganz vorn auf dem fast leeren Parkplatz sah sie sofort – und ihr Herz begann zu hämmern. Er war noch da, hatte tatsächlich auf sie gewartet! Das war … gut. Sie suchte sie mit den Augen nach ihm. Wo mochte er wohl sein? Sie drehte sich, suchte das Gelände ab. Zum Glück waren nicht mehr viele Menschen unterwegs, die Besucher zum größten Teil wieder gegangen, die Patienten in ihren Zimmern.
Franziska konnte nur zwei Krankenschwestern entdecken und einen Pfleger, der einen leeren Rollstuhl vor sich herschob. Ansonsten war der Platz vor der Klinik leer. Und im kleinen Park, gleich nebenan, war auch niemand mehr. Doch stopp! Da drüben, auf der Bank, fast verdeckt durch die Zweige einer Hängeweide, da saß doch jemand. Sie ging in die Richtung, bis sie Gerd zweifelsfrei erkannte. Er las Zeitung.
Während sie sich ihm näherte, betrachtete sie ihn genauer. Ganz versunken saß er da, entspannt zurückgelehnt, die Beine männlich breit übereinandergeschlagen. So ein attraktiver Mann. Und er saß da, weil er auf sie wartete.
Ihr Puls beschleunigte sich. Ach du liebe Güte, was war nur mit ihr los? Gut, da hatte ein begehrenswerter Mann sich ihrer angenommen, doch sollte sie sich etwas darauf einbilden? Er war einfach nur freundlich und hatte genügend Zeit, hilfsbereit zu sein. Das hätte er gewiss für jeden anderen Menschen auch getan. Mit ihr persönlich hatte das nichts zu tun.
„Sport oder Wirtschaft?“, fragte sie, als sie heran war.
Er senkte die Zeitung und ein atemberaubendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Lokalteil.“
Schnell faltete er die Zeitung zusammen und sprang auf. „Und? Hat es geklappt?“
„Ich weiß nicht“, antwortete Franziska wahrheitsgemäß. „Professor Schultheiß hatte den nächsten Bewerber vorgezogen, nachdem ich nicht pünktlich gewesen war. Das hat ewig gedauert. Über eine Stunde habe ich
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