Der Mann mit den zwei Gesichtern
nicht, aus Datenschutzgründen. Endlich hatte ich die eine soweit, dass sie zumindest nachgesehen hat, ob ein Brief an Franziska Graf dabei ist. Mein Plan war, den dann an mich zu bringen, um an deine Adresse heranzukommen.“
Sein Gesicht war angespannt, seine Lippen ganz schmal geworden. Er hob die Hände in einer hilflosen Geste. „Kannst du dir vorstellen, wie ich mich fühlte, als sie nichts fand?“
Oh ja, das konnte Franziska sehr, sehr gut.
„Dann also raus mit der Sprache. Warum hast du mir einen falschen Namen gesagt?“
„Oh“, sie lachte leise und fühlte sich gleich viel leichter. „So richtig falsch ist der Name gar nicht. Ich heiße zwar nicht Graf, bin aber eine Gräfin. Also, vollständig heiße ich Hildegard Sieglinde Franziska Maria Gräfin von Schwan-Neuenfels. Meine Eltern nennen mich Hildegard.“ Sie verdrehte die Augen. „Aber wer will schon so heißen? Also hab ich mir meinen dritten Vornamen als Rufnamen gewählt. Franziska Schwan-Neuenfels, ohne Gräfin. Das reicht für den Alltag und daran hab ich mich gewöhnt. Nur für so offizielle Sachen wie Bewerbungen und Vorstellungsgespräche muss ich den Adelstitel wieder ausgraben. Als ich mich dir vorgestellt habe, hätte ich das beinahe so offiziell gesagt. Erst in letzter Sekunde hab ich die Gräfin noch zu Graf abgebogen. Und so ist Franziska Graf entstanden.“
„Wäre da ein Umschlag an eine Franziska gewesen, egal mit welchem Nachnamen, ich hätte dich gefunden.“
„Tut mir leid“, Franziska kaute an ihrer Unterlippe, ehe sie weitersprach. „Aber Hildegard ist nun mal mein Rufname, und so stand er natürlich auch in den Bewerbungsunterlagen.“
„Wie doch solch eilig getroffene Entscheidungen unser Leben beeinflussen“, sinnierte Gerd. „Monatelang hätten wir bereits Zeit gehabt, uns kennenzulernen.“
„Jetzt bin ich dran mit dich Kennenlernen“, nahm Franziska seine Worte auf. „Wie heißt du nun wirklich? Gerd, Gerhard, Gabriel?“
„Oh, so schlimm bin ich auch nicht“, Gerd lächelte sie strahlend an. „Ich habe vorhin die Wahrheit gesagt. Meine Eltern haben mich Gerhard getauft. Gerhard Buxeder. Meinen nur wenige Minuten älteren Zwillingsbruder nannten sie Gilbert. Und so haben wir uns später dann auch entwickelt. Ein Luftikus namens Gilbert, der sich für alles und jeden interessiert, aber nie lange genug, um etwas zu beenden und ein bodenständiger Gerhard, der Architektur studiert und sich auf Landschaftsarchitektur spezialisiert hat. Deshalb bin ich viel unterwegs, wenn auch nicht in Liebesdingen, wie mein Bruder. Wir sehen wohl gleich aus, sind aber so unterschiedlich wie Tag und Nacht.“ Er sah sie strahlend an. „Nur der Bauer war also erfunden. Um der Polizei zu entgehen, die schon öfter nach einem G. Buxeder gesucht hat. Der Rest hat von Anfang an gestimmt.“
Gerd stand auf, kam die paar Schritte zu ihr herüber, fasste sie an den Händen, zog sie auf die Beine und sah ihr ganz tief in die Augen. „Ich heiße Gerhard. Aber für dich bin ich Gerd. Für den Rest meines Lebens. Wenn du mich jetzt noch willst.“
Sechseinhalb Monate später
„Schieben Sie das Kind nach draußen“, sagte die Hebamme. „Kinn auf die Brust, Augen zu und pressen.“
Franziska hatte weder Zeit noch Energie zu widersprechen, tat, was von ihr verlangt wurde, presste, was das Zeug hielt. Immerhin hatten diverse Frauen ihr in den letzten Wochen bestätigt, dass, sobald die Presswehen eingesetzt hätten, das Schlimmste ausgestanden wäre. Sogar als wohltuend waren ihr die Schmerzen beim Pressen beschrieben worden. Dabei deckte sich das ganz und gar nicht mit den Beobachtungen, die sie selbst gemacht hatte, damals, bei ihrem Praktikum in der Gynäkologie.
Tatsächlich konnte sie nun leibhaftig fühlen, wie das Kind in ihr nach unten gedrängt wurde. Hinein in den Engpass. Mit Kraft und Wucht. Die plötzliche Dehnung brannte … wie Feuer.
„NEIN.“ Sie warf sich nach hinten, drängte ihren Rücken weg vom Bauch, weg von der Hebamme, die ihre Hände bereits ausgestreckt hatte, weg vom Schmerz. „NEIN.“
„Doch!“
Die Hebamme war eine blöde Kuh, wenn sie meinte, dass sie sich in diese Schmerzen noch einmal freiwillig hineinpressen würde.
„Jetzt“, kommandierte die von Franziskas Schmerzattacke gänzlich unberührte Hebamme. „Nochmal.“
Franziska blies die Backen auf, schnaubte die Luft aus, hechelte.
„Pressen.“
Schnauf, schnauf.
„Sie sollen die Wehe nicht veratmen, Sie sollen
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