Der Mann mit den zwei Gesichtern
warten müssen, und dann hat er mir gesagt, dass er eigentlich keine Zeit mehr habe. Zehn Minuten hat er mir dann doch noch eingeräumt.“ Sie erschauderte bei dieser Erinnerung. „Wahrscheinlich nur, weil ich trotz Ihrer Bemühungen so aufgelöst gewesen bin. Aber ich denke, diese zehn Minuten waren bei Weitem nicht ausreichend. Ich kann mir also keine allzu großen Hoffnungen machen.“
„Ach was“, schüttelte Gerd da den Kopf. „Wenn der Mann auch nur ein klein wenig klug und vorausschauend ist, nimmt er Sie.“ Er legte seine Hand auf ihren Arm, hakte sie unter. „Kommen Sie, gehen wir zum Wagen.“
Franziska musste lachen, auch wenn ihr im Moment wenig danach zumute war. „Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bezweifle nur, dass Professor Schultheiß das ebenso sieht wie Sie.“
Sie fand es sehr angenehm, ja fast ein wenig prickelnd, von ihm berührt zu werden und glich sich seinem Tempo bereitwillig an.
„Wann bekommen Sie Bescheid?“
„Es hieß, in den nächsten Tagen.“
„Nun gut, Frau Doktor“, sagte Gerd, als sie den Mercedes erreicht hatten. Er öffnete ihr die Beifahrertür und winkte sie galant hinein. „Dann lassen Sie uns zum nächsten Punkt auf der Tagesordnung schreiten: die Amputation des Wagenrades.“
„Das arme Auto“, lachte Franziska, während sie auf dem Sitz Platz nahm. „Muss es von nun ab auf drei Rädern durchs Autoleben kurven?“
Gerd schloss die Tür hinter ihr, lief dann schnell um den Wagen herum und stieg ebenfalls ein. Er ließ den Motor an und fuhr von dem Parkplatz auf die Straße.
„Ach was“, grinste er, das Gespräch wieder aufnehmend: „Ich bin doch Auto-Arzt. So was würde ich niemals zulassen. Der Wagen bekommt nicht nur eine Amputation, sondern zusätzlich noch eine erstklassige Radprothese.“ Dann schien ihm ein neuer Gedanke zu kommen. „Sie halten doch eine entsprechende Prothese in Ihrem OP bereit, Frau Assistentin?“
„Das hoffe ich“, seufzte Franziska mit einem kleinen schelmischen Seitenblick auf Gerd. „Ich sehe schon, ich habe das falsche Spezialgebiet gewählt. Statt Kardiologie hätte ich die Autopädie wählen sollen, dann könnte ich Ihnen jetzt besser behilflich sein.“
„Es ist mir schon eine Ehre, in Ihrem Operationssaal operieren zu dürfen.“ Gerd verneigte sich, warf ihr einen kurzen Blick zu, dann konzentrierte er sich wieder auf die Straße.
Sie hatten Oberrain schon hinter sich gelassen und fuhren gerade in den Wald hinein.
„Haben Sie wirklich noch nie einen Reifen gewechselt?“
„Nein, leider nicht.“ Franziska rutschte ein wenig tiefer in ihren Sitz. Dann aber fiel ihr ein: „Aber ich habe als Kind mal dabei zugesehen. Zählt das ein bisschen?“
„Bei wie vielen Operationen haben sie bisher zugesehen? Könnten Sie die ausführen?“
Franziska hielt den Vergleich für ein wenig gewagt, wollte aber nicht widersprechen. „Herr Autopäde, ich stelle mich hiermit als einfache Hilfskraft für die niederen Dienste zur Verfügung.“
„Einverstanden“, nickte Gerd. „Gehen wir doch mal die verschiedenen Arbeitsschritte durch. Punkt eins: „Wo ist das Ersatzrad?“
„Im Kofferraum“, sagte sie schnell, auch wenn sie sich eigentlich nur an Warndreieck und Verbandskasten erinnern konnte.
„Sehr gut“, lobte Gerd. „Dann kommen wir zu Punkt zwei: „Wo ist der Wagenheber?“
Tja, wieder musste sie raten: „Im Kofferraum?“
„Sie wissen es nicht?“ Gerd schüttelte den Kopf. „Ist aber nicht so schlimm. Einen Wagenheber können wir uns zur Not aus diesem OP hier ausleihen.“ Er klopfte mit der Hand auf das Lenkrad. „Das Ersatzrad ist viel wichtiger. Ich glaube nämlich nicht, dass das Rad aus meinem Wagen mit dem Ihren kompatibel wäre.“
Franziska sah aus dem Fenster. Wenn sie nicht alles täuschte, war ihre Fahrt gleich zu Ende. Dass schöne Momente immer so schnell zu Ende gehen mussten. Warum konnten sie jetzt nicht einfach weiterfahren? Immer weiter und sich dabei unterhalten? Sie seufzte und entdeckte im nächsten Moment bereits ihren Wagen. Er stand ganz am Straßenrand, um keine anderen Autos zu behindern. Jetzt war nur noch der Reifenwechsel zu machen, sofern es was zu wechseln gab, dann hieß es Abschied nehmen.
Das Ersatzrad lag unschuldig und sauber im Kofferraum unter einer Abdeckung, die Franziska noch nie zuvor aufgefallen war. Und dabei lag glücklicherweise auch ein erstklassiger Wagenheber.
„Dies ist nicht die Standardausrüstung für Operationen dieser
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