Der Mann mit den zwei Gesichtern
pressen!“
Franziska verzog das Gesicht vor Schmerz, als sie nur ein klein wenig gehorchte. Nein, nein, nein.
Dann war die Wehe zu Ende. Ihr Kopf sank zurück. Puh!
„Beim nächsten Mal holen Sie tief Luft und dann pressen Sie. Am besten dreimal hintereinander, dann nach Luft schnappen, dann wieder pressen.“
Franziska hatte noch genau die Zeit, der Hebamme einen wütenden Blick zuzuwerfen, als der Drang, den dicken Brocken in sich jetzt endlich nach draußen zu bringen, wieder einsetzte.
Sie atmete tief und regelmäßig. Ein … aus ..ein ...aus. So war es auszuhalten und der Pressdrang auch nicht mehr so schlimm.
Die unerschütterlich geduldige Hebamme sah nur einen Moment zu, wie Franziska munter ihre Presswehe veratmete, da sagte sie mit zuckersüßer Stimme: „Ich glaub, das ist ein Fall für eine Vakuumex.“
Wie bitte? Die wollte die Saugglocke einsetzen? Manchmal mussten Babys damit geholt werden, weil es nicht anders ging. Aber doch nicht ihres! Franziska schnellte den Kopf nach vorn, schnappte nach Luft, presste dann die Augen zu und ihr Innerstes nach Außen. „Aaaaauuu!“
„Atmen!“
Dankbar schnappte Franziska nach Luft, dann presste sie wieder. Sie-würde-keine-Saugglocke-brauchen. Nicht-sie!
Als der Pressdrang nachließ, brauchte ihr Herz eine Weile, um sich wieder zu beruhigen. Sie schnaufte, schloss die Augen, genoss den Moment der Entspann... Da ging es weiter. PRESSEN!
PRESSEN!
PRESSEN!
„Jetzt langsam, hecheln.“
Hä? Hecheln was?
„Aufhören zu pressen, langsam jetzt, Sie reißen sonst.“
Oh, reißen war nie gut. Franziska hechelte. Obwohl sie jetzt eindeutig lieber weitergepresst hätte. Aber wer riss schon gerne?
„Das Köpfchen ist gleich da, nochmal pressen, aber nicht so fest.“
Franziska war mittlerweile alles gleich. Atmen, pressen, hecheln, nicht pressen – sie tat, was ihr gesagt wurde. Die da draußen, außerhalb des gewaltigen Schmerzes, des Gefühls, gleich zu platzen, würden ihr schon sagen, was zu tun sei. Und so presste sie vorsichtig, schob, drückte …
„Uauaua!“
Eine im ersten Moment ganz und gar fremde Stimme füllte den Raum – und erst im nächsten Moment registrierte Franziska, dass das ihr Kind war. Sie konnte ihr Kind hören, das noch nicht mal ganz geboren war! Sie riss die Augen auf und blickte in ein puterrotes, sehr kleines Gesicht, mit fest zusammengekniffenen Augen und weit offenstehendem Mündchen.
Und sie sah, wie die Hebamme ihre behandschuhten Hände ganz vorsichtig an das winzige Kinn und den Hinterkopf anlegte. „Ganz wenig schieben“, kommandierte sie, drehte das Köpfchen ein Stück. Eine Schulter erschien.
Franziska stöhnte.
„So, jetzt nochmal mit viel Kraft.“
Das tat sie. Presste, schrie, presste – und fühlte, wie etwas Großes aus ihr herausglitt – und im nächsten Moment auf der anderen Seite ihres Bauches landete. Auf der Außenseite.
„Uauaua.“
Die helle Stimme war erstaunlich kräftig, die Haut des Kindes dafür reichlich blaurot. Franziskas Hände fuhren von selbst zu dem kleinen Körper, den sie soeben geboren hatte. Nass, warm, weich, wundervoll. Wundervoll! WUNDERVOLL. Dies war ihr Kind, ihr wundervolles Kind!
Tränen schossen ihr aus den Augen. Überwältigt ließ sie sich zurücksinken. An die Brust ihres Mannes. Der sie die ganze Zeit über gestützt und gehalten hatte. Mit seinen Armen, seinen Händen, die auch jetzt noch an ihren Schultern lagen. Sie weinte und lachte. Es war da, das Kind, geboren.
Da war sein Gesicht schon neben dem ihren, flüsterte ihr ins Ohr: „Unsere Tochter, sieh doch nur, unsere wunderschöne Gina-Andrea ist da.“
„Unser Kind“, Franziska wandte ihm ihr tränennasses, strahlendes Gesicht zu. „Gerd, wir sind ihre Eltern.“ Soeben waren sie eine Familie geworden, das kleine, schreiende Bündel, das sich auf ihrem Bauch sachte regte, Gerd, der sie liebte und dem sie vertraute, und sie, die sie ihn wiederliebte.
Das alles war noch so frisch, aber gleichzeitig auch unendlich vertraut. Genau wie seine Lippen, die sie im nächsten Moment auf den ihren spürte. Vertraut, aber immer wieder neu.
ENDE
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