Der Mann mit der dunklen Maske
Lord Wimbly lachte herzlich.
Als der Mann wieder im Club verschwand, versuchte Brian einen genaueren Blick auf ihn zu erhaschen. Er hatte ein blässliches Gesicht und hinkte. Wahrscheinlich war er Soldat gewesen und hatte im Mittleren Osten seine Pflicht getan. Sein Gesicht war von der Sonne gezeichnet, und sein Hinken ließ auf eine Verletzung schließen. Brian kannte den Mann nicht.
Doch als er den Club verließ, hatte er das Gefühl, mehr erfahren zu haben, als auf den ersten Blick zu erkennen war. Das Mittagessen schien doch keine völlige Zeitverschwendung gewesen zu sein.
Camille richtete sich auf. Sie musste sich einfach mal bewegen. Ihre Schultern waren ganz verkrampft, und sie fand, dass sie für einen steifen Hals noch viel zu jung war. Sie stand auf, streckte sich und ließ ihren Blick durch den kleinen Arbeitsraum schweifen. Bisher hatten die alten Stücke ihr nicht mehr verraten, als sie schon wusste.
„Und ich glaube nicht an Flüche“, sagte sie laut.
Sie verließ den Raum. Sir John war nicht an seinem Schreibtisch. Camille zog ihre Schürze aus. Sie wollte einen kurzen Spaziergang um das Museum machen und dann wieder an ihren Platz zurückkehren. Im Moment, dachte sie bitter, bin ich hier das goldene Kind, und solange der Earl of Carlyle sein Interesse in mir kundtut, wird sich daran auch nichts ändern. Trotzdem war sie natürlich nicht mehr als eine Figur in seinem Schachspiel. Dessen war sie sich vollkommen bewusst.
Sie trat hinaus auf die ägyptische Galerie. Wie gewöhnlich starrten einige Leute fasziniert die Mumien an. Die Leichen aus längst vergangenen Epochen lockten immer Leute an. Dem Museum war es gelungen, die unterschiedlichen Glaubensrichtungen in den verschiedenen Dynastien übersichtlich darzustellen. Einige der Toten wurden ohne Leinenbinden dargestellt, andere vollständig einbalsamiert und wieder andere noch in ihren Sarkophagen.
Der Stein von Rosette, eines ihrer Lieblingsstücke, war eine weitere Attraktion. Aber die Besucher sahen ihn meist nur kurz an und gingen dann weiter. Es war schließlich nur ein Stein. Er hatte niemals gelebt, gelacht, geweint, geliebt. Mumien dagegen zogen Leute geradezu magisch an.
Neben den normalen Ausstellungen war dies eine besondere Schau. Sie zeigte das Leben von Cleopatra. Ihre Leidenschaft, ihren Machthunger und ihre angebliche Schönheit. Auch sie erregte eine Menge Aufmerksamkeit, obwohl man ihre Mumie nicht zur Schau stellen konnte. Doch sie hatten eine exzellente Wachsnachbildung der Königin des Nils und, um die Faszination der Ausstellung zu vervollständigen, daneben eine lebende ägyptische Kobra in einem Glasbehälter. Genau so eine, die der Königin ihren dramatischen Tod gebracht hatte.
Camille fühlte sich von der Kobra in ihrem Glaskasten angezogen, obwohl sie bereits von einer Horde Schuljungen umgeben war.
„Es ist nur eine Schlange! Und sie ist ziemlich dünn“, sagte einer verächtlich.
„Ich könnte ihr in einer Sekunde das Genick umdrehen“, prahlte ein anderer.
„Hat sie denn ein Genick?“ fragte ein dritter.
Einer der Jungen klopfte gegen das Glas. Die Schlange, die bis eben noch geruht hatte, richtete sich blitzartig auf. Ihr Kopf schwang hin und her. Dann stieß sie vor – und prallte gegen das Glas. Hastig sprangen die Jungen zurück.
„Lasst uns verschwinden!“ rief einer.
„Wenn ihr das Tier nicht ärgert, kann auch nichts passieren“, erklärte Camille im Vorbeigehen. Die Giftschlange war einfach wunderschön. Camille blieb stehen. „Wisst ihr, nach der Legende befahl Cleopatra, dass man ihr einen Korb mit Feigen und einer Kobra darin bringen solle. Sie wollte nicht einfach Selbstmord begehen. Die Kobra war ein Zeichen göttlichen Königtums, und sie glaubte, wenn sie von einer Natter gebissen würde, würde sie unsterblich werden.“
„Ist das wahr?“ wollte einer der Jungen mit großen Augen wissen.
„Nun, es ist eine Legende und daher ist sie in gewisser Weise tatsächlich unsterblich geworden. Aber was den Schlangenbiss angeht, bin ich ziemlich sicher, dass sie danach wirklich mausetot war.“ Camille lächelte. „In Museen soll man Dinge sehen und lernen, aber keine Ausstellungsstücke ärgern oder beschädigen.“ Camille wollte gerade weitergehen, doch dann wandte sie sich noch einmal um. „Und, ja, Schlangen haben ein Genick.“
„Und woher weiß man, wo es ist?“ fragte der Junge.
„Hinter dem Kopf“, erwiderte Camille lächelnd.
„Der ganze Rest des Körpers ist
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