Der Mann mit der dunklen Maske
Selbst wenn sie wütend auf ihn war, er bedeutete ihr bereits so viel. Er war stark, voller Energie und Feuer. Sie kannte den Klang seiner Stimme so gut, sie hatte immer wieder seine Hände beobachtet und seine Augen …
„Er
ist
ein Monster“, sagte sie laut. Aber das Problem war, dass sie ihn tatsächlich verstand. Sie fühlte sich gerade wegen seiner Leidenschaft und seines Temperaments so zu ihm hingezogen. Und wegen der sanften, zärtlichen Seite seines Wesens, auf die sie nur einen kurzen Blick hatte erhaschen können, die sie aber dennoch deutlich wahrgenommen hatte.
Vielleicht hätte sie besser doch nicht andeuten sollen, dass jemand, den er liebte und dem er vertraute, womöglich gegen ihn arbeitete. Es war ja nur ein Verdacht von ihr, nicht mehr.
Das Feuer im Kamin erstarb langsam. Sie stieß die Scheite in die Glut, holte tief Luft und erinnerte sich daran, dass ihr morgen ein noch längerer Tag bevorstand. Der Wohltätigkeitsball würde bis tief in die Nacht dauern. Und sie hatte ihr Kleid, ihr wunderschönes Kleid. Für eine kurze Zeit würde sie strahlen können und in seinen Armen tanzen.
Sie biss sich auf die Unterlippe, schlüpfte in ihr Nachthemd, das Evelyn für sie zurechtgelegt hatte, und kroch ins Bett. Sie wollte nicht völlig im Dunkeln liegen, deshalb ließ sie die kleine Lampe auf ihrem Nachttisch brennen. Sie stopfte sich das Kissen unter den Kopf und versuchte, einzuschlafen.
Aber sie lag wach.
Camille hatte keine Angst vor Mumien oder Flüchen. Aber heute dort unten, mit all den Toten und ihren Grabbeigaben, da hatte sie furchtbar gefröstelt. Und dann diese Stimme … Sie warf sich herum, schlug noch mal auf das Kissen und ließ sich wieder hineinsinken.
Da war es wieder … dieses Geräusch. Wie ein Kratzen über Stein von irgendwo aus der Tiefe des alten Gemäuers. Es schien fast, als wäre das Schloss selbst ein lebendiges Wesen, das aus tiefster Seele stöhnte.
Sie sprang aus dem Bett und lauschte. Nichts. Dann … wieder!
Sie zögerte, ängstlich, doch so wütend über ihre Furcht, dass sie am liebsten hinaus in den Korridor gestürmt, alle Lichter angedreht und laut gefragt hätte, warum nicht alle anderen wach und auf der Suche nach der Quelle dieses seltsamen Geräuschs waren.
Doch irgendetwas hielt sie davon ab. Ihr Blick fiel auf das Porträt von Nefertiti, und sie erinnerte sich an Brians Worte.
Wenn du mich brauchst, zieh einfach nur an der linken Seite des Bildes.
Sie zögerte, denn sie erinnerte sich auch daran, auf welche Weise sie auseinander gegangen waren. Trotzdem marschierte sie zu dem Porträt, umfasste die linke Seite und zog.
Die Mauer öffnete sich. Es war dunkel in seinen Gemächern, aber es kam ein schwacher Lichtschein aus seinem Kamin.
„Brian?“ flüsterte sie.
Am liebsten hätte Camille die Tür gleich wieder geschlossen. Sie wusste plötzlich nicht mehr, warum sie eigentlich nicht wirklich schreiend in den Flur gelaufen war. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob er nicht doch ein bisschen verrückt war, dass er seine Suche so ernst nahm, dass er das ganze Theater um ihn herum selbst inszenierte. Und doch …
„Camille?“
Seine Stimme tönte voll und beruhigend durch die Dunkelheit. Und alle Wut war verschwunden.
Sie trat ein, immer noch halb blind in dem Dämmerlicht. Er hatte sich erhoben und band gerade seinen Hausmantel zu, während er auf sie zukam.
„Haben Sie das gehört?“ fragte sie.
„Ja“, erwiderte er. Und dann fügte er hinzu: „Bleiben Sie hier.“
„Nein!“
„Camille, ich flehe Sie an, hören Sie auf mich. Bitte!“
Sie bemerkte, dass der Hund an seiner Seite war und leise winselte. Sie sah Brian, spürte ihn, als er an ihr vorbeiging und die Geheimtür wieder schloss.
Er legte seine Hände auf ihre Schultern. Er hatte auch seine Maske angelegt. Ihr wurde bewusst, dass sie darüber nachdachte, wie Furcht erregend sein Gesicht sein konnte. Und dass es ihr völlig egal war.
„Bitte bleiben Sie hier.“
„Aber …“
„Es ist gefährlich.“
„Ich will nicht allein bleiben“, erklärte sie ihm.
„Ich lasse den Hund hier.“
„Nein, Sie müssen Ajax mitnehmen.“
„Ich bezweifle, dass ich heute Nacht mehr entdecken werde als zuvor. Das Geräusch verstummt immer, bevor ich seine Quelle ausmachen kann. Bitte, Camille, warten Sie hier. Und schließen Sie sich ein.“
Er ging, ohne ihre Zustimmung abzuwarten. Er wählte den Weg durch den Salon. Sie folgte ihm und schloss die Tür ab, wie er
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