Der Mann mit der dunklen Maske
Schwestern hilfsbereit und konzentriert bei der Arbeit gewesen, hatten, als Camille in ihre kunstvolle Kreation gekleidet war, noch gern eine Tasse Tee mit etwas Brandy getrunken, doch danach wollten sie so schnell wie möglich wieder in ihr eigenes kleines Haus im Wald zurück. Nun, das Kleid zumindest war fantastisch.
Nie zuvor hatte sie so etwas Exquisites getragen. Als sie ihr Spiegelbild betrachtete, fühlte sie sich tatsächlich schön. Das Einzige, was ihr zu denken gab, waren die Topas-Ohrringe, die noch auf ihrem Nachttisch lagen. Sie waren mit einer Nachricht gekommen:
Bitte trage sie heute Abend
.
Ihr Herz hämmerte. Sie hatte Brian nicht gesehen, seit sie neben ihm eingeschlafen war. Sie fühlte sich äußerst unbehaglich. Sie hatte sich schon fast dazu entschlossen, die Ohrringe nicht zu tragen, weil sie ihr wie eine Bezahlung erschienen. Aber die Nachricht klang eher, als ob es sich um eine Leihgabe handelte.
In dem großen Kamin prasselte ein Feuer. Es gab eigentlich keinen Grund zu frieren. Doch der Abend lag vor ihr wie ein Abgrund. Ihr ganzes Leben erschien ihr plötzlich wie eine Lüge, alles, was Brian Stirling tat, diente nur dem Zweck, den Mörder aus seinem Versteck zu locken.
Und sie hatte ein weiteres Geheimnis entdeckt. Warum war Alex so sicher, dass er eines Tages reich sein würde? Alex war mit auf der Expedition gewesen. Alex hatte freie Hand im Museum. Er war nicht im Besitz der Schlüssel, aber wie sie entdeckt hatte, war es nur zu leicht, an Sir Johns Schlüsselbund zu kommen. Und was hatte Sir Johns seltsames Verhalten zu bedeuten? Was war mit den Zeitungsausschnitten auf seinem Schreibtisch? Wenn er sie nicht herausgeholt hatte, musste jemand anders an seinem Schreibtisch gewesen sein, die Ausschnitte genommen und die Klinge des Taschenmessers in sein Gesicht gestoßen haben.
Alex?
Sie wandte sich nachdenklich vom Feuer ab, überwältigt von den wirren Gedanken. Und dann sah sie ihn.
Trotz der Maske strahlte er pure Männlichkeit aus. Er trug einen Frack, ein gestärktes weißes Hemd mit schwarzer Weste und Fliege. Die passenden weißen Handschuhe hielt er in der Linken. Die Manschettenknöpfe waren aus schlichtem Gold, wie die Uhrkette, die in perfektem Bogen aus seiner Tasche hing. Er kam die Treppe herunter wie ein Mann, der in diese Kleidung hineingeboren war, auch wenn er sie nicht oft trug. Elegant und würdevoll.
Auf der vierten Stufe blieb er stehen und starrte sie an.
„Mein Gott“, flüsterte er.
Sie errötete und dachte an die letzte Nacht. Einerseits wäre sie am liebsten zu ihm gelaufen. Zugleich wünschte sie, sich irgendwo verkriechen zu können.
„Guten Abend“, murmelte sie.
Er stieg die restlichen Stufen herunter, nahm ihre Hände, trat einen Schritt zurück und betrachtete sie erneut. Bestimmt war sie rot wie ein Hummer. Ihre Haut brannte.
„Und die Ohrringe“, murmelte er. „Sie sind perfekt.“
„Ich werde darauf achten, dass du sie in dem Moment zurückbekommst, in dem wir wieder zu Hause sind“, sagte sie und zuckte innerlich zusammen, denn ihre Worte klangen spröder, als sie beabsichtigt hatte.
Er runzelte die Stirn. „Ich möchte sie nicht zurückhaben.“
„Wie ich schon sagte, ich habe kein Interesse an Geschenken.“
„Sie sind von keinem so großen Wert.“
„Wie dem auch sei, ich möchte kein Geschenk.“
Seine Augen, die voller Anerkennung gefunkelt hatten, nahmen einen harten Ausdruck an. „Ich verstehe. Du siehst in ihnen etwas anderes als eine einfache Geste für diesen Abend.“
„Ich nehme keine Geschenke an“, wiederholte sie steif.
Er zog sie an sich. „Meine Liebe, wenn ich dir ein Geschenk machen würde, glaub mir, dann wäre es von sehr viel höherem Wert.“
Sie wollte sich aus seinen Armen winden, doch sein Griff war fest. Seine Stimme dagegen klang sanft und leise, als befürchte er, belauscht zu werden. „Was um Himmels willen ist in dich gefahren?“
„Nichts. Ich kenne mich aber ein bisschen aus in der Welt.“
„Ach ja, und …“
„In dieser Welt … haben wir alle unseren bestimmten Platz“, erwiderte sie ein wenig verzweifelt.
„Ab und zu ist unser Platz genau dort, wo wir sein wollen, Miss Montgomery“, entgegnete er. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Ich kenne natürlich den Stoff des Kleides, und die Ohrringe sind seit Jahrzehnten in Familienbesitz. Verzeih mir, aber ich hatte angenommen, dass wir inzwischen zumindest Freunde sein könnten.“
„Ich kann keine Geschenke
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