Der Mann mit der dunklen Maske
Evelyn.
Rupert betrachtete sie. „Oh Evy. Tut mir Leid. Warst du es nicht, die Brians Eltern gefunden hat? Das muss ja entsetzlich gewesen sein.“ Als er ihr schockiertes Gesicht bemerkte, fügte er hinzu: „Tut mir Leid, ich wollte nicht in der Vergangenheit wühlen. Was für ein Abend. Schade eigentlich, es war ein schönes Fest. Dieser ganze wunderbare Klatsch. Evelyn, altes Mädchen, warum hast du uns nicht wenigstens vorgewarnt?“
„Ich wusste es ja selbst nicht“, erwiderte sie.
„Du machst Witze“, bemerkte Lavinia. „Ich habe nach der Kutsche geschickt. Ich glaube, da kommt dein Fahrer, Rupert.“
„Schade“, sagte Rupert. „Ich hatte eigentlich gehofft, Evelyn noch etwas ausfragen zu können. Alles über Brians kleine unbekannte Schönheit herauszufinden. Das Mädchen blendet einen ja geradezu, findest du nicht, Lavinia?“
„Mhm.“
„Also, Evy, wo kommt sie her?“
Evelyn zögerte. „Sie ist irgendwie plötzlich in unser Leben gestolpert.“
„Wie das?“
„Es gab einen Unfall. Ihr Vormund wurde verletzt.“
Ruperts kniff die Augen zusammen. „Ihr Vormund? Wer ist der Mann?“
„Sein Name ist Sir Tristan Montgomery.“
„Montgomery!“ sagte Rupert. Es klang schockiert.
„Du kennst ihn?“ erkundigte sich Evelyn.
„Ich habe von ihm gehört.“
Evelyn Prior wartete wie auf glühenden Kohlen darauf, was er wohl als Nächstes sagen würde. „Der Kerl war eine Legende in der Kavallerie“, fuhr Rupert endlich fort. „Seinen Ritterschlag hat er sich in Indien verdient.“
Evelyn atmete auf. Sie hatte mit ganz Anderem gerechnet.
„Also, wie dem auch sei. Es gab einen Unfall. Sir Tristan erholte sich – erholt sich noch – auf dem Schloss. Sein Mündel wollte ihn dort nicht allein lassen.“
„Trotzdem ist es verblüffend, auch wenn man ihre offensichtlichen Vorzüge bedenkt“, bemerkte Rupert mit funkelnden Augen.
Das Objekt ihres Gesprächs kam plötzlich aus der Tür gestürmt, aufgeregt, das so sorgfältig hochgesteckte Haar in Auflösung begriffen und doch schöner als je zuvor. „Evelyn! Bitte! Sie müssen unbedingt Shelby finden. Wir brauchen eine andere Kutsche, eine Ambulanz.“
„Eine Ambulanz?“
„Er lebt!“ rief Camille. „Gerade so, nur gerade so, aber er atmet.“
„Er muss ins Hospital“, rief Evelyn.
Camille schüttelte den Kopf, ihr Gesicht war hochrot. „Wir bringen ihn aufs Schloss.“
„Hat Brian das gesagt?“ wollte Evelyn wissen. Sie war schockiert.
„Ja, ja. Sein Zustand ist schlecht, Evelyn. Im Hospital holt er sich wahrscheinlich noch zusätzlich ein paar Infektionen, die seine Chancen zunichte machen. Bitte, Evelyn, Shelby soll sich schnell darum kümmern.“
„Ich werde den Mann suchen“, bot Rupert bereitwillig an, während Camille sich umdrehte und wieder ins Museum lief.
„Vielen Dank“, sagte Evelyn. „Entschuldigen Sie mich, Lady Lavinia.“
Sie folgte Camille zurück in den Festsaal, aber sie umging den Bereich, wo die oberen Zehntausend getanzt hatten, und lief schnell die Treppen hinauf. Sie stieß die Tür zum Büro auf und tastete nach dem Lichtschalter. Das Terrarium stand hinter Sir Johns Schreibtisch. Die Kobra schlief jetzt.
Sie ging hinüber und las das kleine Schild vorne auf dem Glasbehälter.
Naja haje. Ägyptische Kobra, Natter. Symbol der Sonne, der Herrschaft, von Stärke und Macht und vor allem der Königswürde. Teil des Uraeus, einer Sonnenscheibe, die von zwei Nattern getragen wird. Sie symbolisiert das Recht auf die Regentschaft, das Auge von Ra, dem Sonnengott. Es steht sowohl für die Vernichtung der Feinde als auch für Licht, Leben und Tod.
Leben und Tod. Alex Mittleman war immer noch am Leben.
Scharniere sicherten den Deckel des Terrariums. Evelyn streckte die Hand danach aus. Dann drehte sie sich um und verließ das Büro, nicht ohne das Licht wieder auszuschalten.
Camille hatte sich entschlossen, in der Ambulanz mitzufahren, daher tat Brian dasselbe. Sie hatten das Gefährt von der Städtischen Heilanstalt ausgeliehen, und Brian war froh, dass es offensichtlich gründlich gereinigt worden war. Der Kutscher stellte sich als durchaus kompetent heraus. Er hatte den Biss mit Karbolsäure behandelt, derselben Substanz, die auch Brian in Indien so sehr geholfen hatte, dass er nicht an seinen Verletzungen gestorben war. Auch wenn es eigentlich schon etwas spät dafür war, hatte er sowohl Brian als auch Camille angewiesen, ihre Münder mit Whiskey auszuspülen und einige Schlucke zu
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