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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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um.
    19
    Ich fing um 6:18 Uhr abends an, Janko erst um 10:36 Uhr, es hätte also schlimmer sein können. Da ich um 10:06 Uhr eine halbe Stunde Pause zum Essen hatte, war ich normaler- weise zurück auf meinem Platz, wenn er kam. Er steuerte immer den Hocker neben mir an. Janko hielt sich nicht nur für einen großen Geist, er sah sich auch als großer Lieb- haber. Nach seiner Darstellung wurde er auf Korridoren von wunderschönen jungen Frauen angefallen, auf den Stra- ßen von ihnen verfolgt. Sie ließen ihn einfach nicht in Ruhe, den armen Kerl. Aber ich erlebte es nie, daß er eine Frau am Arbeitsplatz ansprach, und ebensowenig wurde er von ihnen angesprochen.
    Er kam herein: »HE, HANK! MANN, HAB ICH VIEL- LEICHT EINE FRAU AUFGERISSEN HEUTE!«
Er redete nicht, er schrie. Er schrie die ganze Nacht.
»HERR GOTT, SIE HAT MICH DIREKT AUFGEFRES- SEN! UND JUNG WAR DIE! ABER MIT ERFAHRUNG, SAG ICH DIR!«
Ich zündete mir eine Zigarette an.
Dann mußte ich mir in allen Einzelheiten anhören, wie er sie kennengelernt hatte
»ICH MUSSTE AUS DEM HAUS, UM EINEN LAIB BROT ZU KAUFEN, VERSTEHST DU?«
Und dann - bis ins letzte Detail - was sie sagte, was er sagte, was sie machten usw.
Damals trat ein Gesetz in Kraft, nach dem die Post den Aushilfskräften die Überstunden mit einem fünfzigprozen- tigen Zuschlag honorieren mußte. Daraufhin teilte die Post die Ständigen für Überstunden ein.
Acht oder zehn Minuten vor Schluß meiner regulären Arbeitszeit um 2:48 Uhr in der Nacht ertönte der Laut- sprecher:
»Alles herhören, bitte! Alle ständigen Angestellten, die um 18:18 Uhr angefangen haben, arbeiten heute eine Stunde länger!«
Janko lächelte, beugte sich vor und berieselte mich wei- terhin mit seinem Gift.
Dann, acht Minuten vor Ablauf meiner neunten Stunde, ertönte erneut der Lautsprecher.
»Alles herhören, bitte! Alle ständigen Angestellten, die um 18:18 Uhr angefangen haben, arbeiten heute zwei Stun- den länger!«
Dann, acht Minuten vor Ablauf meiner zehnten Stunde:
»Alles herhören, bitte! Alle ständigen Angestellten, die um 18:18 Uhr angefangen haben, arbeiten heute drei Stun- den länger!«
Und inzwischen machte Janko nicht einmal Pause.
»ICH SASS GERADE IN DIESER KANTINE, VER- STEHST DU. ZWEI KLASSEWEIBER KAMEN REIN! SIE SETZTEN SICH LINKS UND RECHTS VON MIR HIN...«
Der Bursche machte mich fertig, aber ich wußte mir nicht zu helfen. Ich mußte an all meine anderen Jobs in der Ver- gangenheit denken. Ich hatte noch immer den Spinner er- wischt. Sie mochten mich.
Dann drängte mir Janko seinen Roman auf. Er konnte nicht tippen und hatte das Ding von einem Büro tippen lassen. Es steckte in einer vornehmen schwarzen Lederhülle. Der Titel war sehr romantisch. »WÜRDE MICH INTER- ESSIEREN, WAS DU DAVON HÄLTST«, sagte er.
»Ach so«, sagte ich.
    20
    Ich nahm es mit nach Hause, machte das Bier auf, stieg ins Bett und fing an.
Der Anfang war gut. Er beschrieb, wie Janko in kleinen Zimmern gewohnt und Hunger gelitten hatte, während er versuchte, eine Stelle zu finden. Er hatte Schwierigkeiten mit den Arbeitsvermittlern. Und da war ein Typ, den er in einer Bar kennenlernte - er machte einen sehr gebildeten Eindruck —, doch sein Freund lieh sich dauernd Geld von ihm aus, das er nie zurückbezahlte.
Es war eine ehrliche Schilderung.
Vielleicht habe ich diesen Mann falsch eingeschätzt, dachte ich.
Ich hoffte für ihn, während ich weiterlas. Dann fiel der Roman auseinander. Sobald er anfing vom Postamt zu schreiben, verlor das Ding irgendwie an Realität.
Die Geschichte wurde immer schlimmer. Es hörte damit auf, daß er in der Oper war. Es war gerade Pause. Er hatte seinen Platz verlassen, um dem vulgären und blöden Mob zu entkommen. Na ja, da war ich auf seiner Seite. Dann, als er gerade um eine Säule herumging, geschah es. Es geschah sehr schnell. Er stieß mit diesem kultivierten, zierlichen, schönen Wesen zusammen. Rannte sie beinahe über den Haufen.
Dazu folgender Dialog:
>0h, das tut mir aber leid!<
>Das macht doch nichts.. .<
>Ich wollte Sie doch nicht... Sie wissen schon... das tut mir aber leid ...!<
>0h, ich versichere Ihnen, es macht nichts!<
>Aber ich wollte doch, ich hab Sie nicht gesehen... ich wollte Sie doch nicht...<
>Es macht nichts. Es macht wirklich nichts...<
Der Dialog mit dem Zusammenstoß füllte eineinhalb Seiten.
Der arme Kerl war in der Tat verrückt.
Es stellte sich heraus, daß dieses Weibsstück, obwohl sie allein zwischen den Säulen umherwandelt, nun ja, sie ist in

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