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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Bukowski
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Feathers. Ich habe sie getäuscht.«
»Die Schwarzen lieben Sie?«
»Sie geben mir Wasser, wenn ich Durst habe. Ich ficke sogar ihre Weiber. Oder versuche es jedenfalls.«
»Schon gut, schon gut. Wir kommen vom Thema ab. Gehen Sie jetzt wieder an Ihre Arbeit zurück.«
Er gab mir eine Bescheinigung, daß ich bei ihm gewesen war. Er machte sich Sorgen, der arme Kerl. Ich hatte die Schwarzen nicht getäuscht. Ich hatte niemanden getäuscht, nur Feathers. Aber es war verständlich, daß er sich Sorgen machte. Einer der Inspektoren war die Treppe hinunter- gestoßen worden. Einem anderen hatten sie ein Messer über den Arsch gezogen. Einem anderen den Bauch aufgeschlitzt, als er morgens um drei Uhr an einem Fußgängerüberweg darauf wartete, daß die Ampel grün wurde. Direkt vor dem Hauptpostamt. Wir sahen ihn nie wieder.
Feathers verließ, kurz nach meiner Unterhaltung mit ihm, das Hauptpostamt. Ich weiß nicht genau, wo er hinging. Jedenfalls war er nicht mehr im Hauptpostamt.
    16
    An einem Vormittag gegen zehn Uhr läutete das Telefon. »Mr. Chinaski?«
Ich erkannte die Stimme und fing an mit mir zu spielen. »Mhmm«, sagte ich.
Es war Miß Graves, dieses Weibsbild.
»Haben Sie geschlafen?«
»Ja, ja, Miß Graves, aber reden Sie weiter. Es macht
    nichts, es macht nichts.«
»Ihr Fall ist geklärt. Es wird keine weiteren Schwierig-
keiten mehr geben.«
»Hmmm, hmmm.«
»Wir haben deshalb den Schulungsraum benachrichtigt.« »Mmmhmmm.«
»Und genau heute in vierzehn Tagen ist Ihre Prüfung für
das CP1.«
»Was? Augenblick mal...«
»Das wäre alles, Mr. Chinaski. Guten Tag.«
Sie legte auf.
    17
    Nun, ich nahm mir die Tabelle vor und bezog alles auf Sex und Alter. Ein Kerl wohnte mit drei Frauen in einem Haus. Er peitschte die eine aus (ihr Name war der Name der Straße und ihr Alter die Nummer des Bezirks); der zweiten machte er's französisch (dito), und die dritte vögelte er einfach auf die altmodische Art (dito). Dann gab es all diese Homos, und einer von ihnen (er hieß Manfred Avenue) war 33 Jahre alt... usw. usw.
    Ich bin sicher, sie hätten mich erst gar nicht in diesen Glaskasten gelassen, hätten sie gewußt, was ich mir beim Anblick all der Karten dachte. Sie sahen für mich alle wie alte Freunde aus.
    Allerdings gerieten mir meine Orgien teilweise noch durcheinander. Beim ersten Mal schaffte ich 94 Prozent.
Als ich es zehn Tage später zum zweiten Mal versuchte, wußte ich, wer was mit wem trieb.
Ich schaffte 100 Prozent in fünf Minuten.
Und erhielt einen vorgedruckten Glückwunschbrief vom Postmeister der Stadt.
    18
    Bald danach bekam ich meine feste Anstellung, und das hieß nur noch acht Stunden pro Nacht, immerhin besser als zwölf, und außerdem bezahlte Feiertage. Von den ursprüng-
    lichen 150 oder 200 waren wir noch zu zweit.
    Dann lernte ich David Janko bei der Arbeit kennen. Er war ein junger Weißer, Anfang zwanzig. Ich machte den Fehler, mit ihm zu reden, irgendwas über klassische Musik. In klassischer Musik wußte ich zufällig ein bißchen Bescheid, denn es war das einzige, was ich mir anhören konnte, wenn ich frühmorgens im Bett lag und Bier trank. Und wenn man jeden Morgen diese Musik hört, muß einfach etwas hängen- bleiben. Und nach der Scheidung von Joyce hatte ich aus Versehen zwei Bände Lebensgeschichten Klassischer und Moderner Komponisten in einen meiner Koffer gepackt. Die meisten dieser Männer hatten ein so qualvolles Leben geführt, daß es mir Spaß machte, darüber zu lesen, und dabei sagte ich mir, nun, ich lebe auch in einer Hölle, und ich kann nicht mal Musik schreiben.
    Doch ich hatte den Mund aufgemacht. Janko und einer der anderen stritten sich, und ich schlichtete den Streit, in- dem ich ihnen Beethovens Geburtsdatum gab, außerdem das Entstehungsdatum seiner dritten Sinfonie und einen allgemeinen (wenn auch wirren) Abriß der Kritikermeinung zu diesem Werk.
    Das war zuviel für Janko. Er hielt mich sofort für einen gebildeten Mann. Auf dem Hocker neben mir fing er an, über das Elend, das tief in seiner verworrenen, geplagten Seele saß, zu klagen und zu lamentieren. Er hatte eine fürchterlich laute Stimme, und er wollte, daß alle ihn hör- ten. Ich steckte die Briefe in ihre Fächer, ich hörte und hörte und hörte ihm zu und dachte: wag kann ich bloß da- gegen tun? Wie kann ich diesen armen, irren Scheißkerl zum Schweigen bringen?
    Jede Nacht ging ich mit Kopfschmerzen und halb krank nach Hause. Allein mit dem Klang seiner Stimme brachte er mich langsam

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