Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
empfunden und nicht gern angetastet; die notwendig werdenden Veränderungen vollziehen sich nur zögernd und gleichsam in einem hin und her walzenden Vorgang. Und wenn jemand etwa aus reiner vegetarischer Gesinnung zu einer Kuh Sie sagen würde (in richtiger Erwägung des Umstandes, daß man sich gegen ein Wesen, dem man du sagt, viel leichter rücksichtslos benimmt), so würde man ihn einen Gecken, wenn nicht einen Narren schelten; aber nicht wegen seiner tierfreundlichen oder vegetarischen Gesinnung, die man hoch human findet, sondern wegen ihrer unmittelbaren Übertragung in die Wirklichkeit. Mit einem Wort, zwischen Geist und Leben besteht ein verwickelter Ausgleich, bei dem der Geist höchstens ein Halb vom Tausend seiner Forderungen ausbezahlt erhält und dafür mit dem Titel eines Ehrengläubigers geschmückt wird.
Ist aber der Geist, in der mächtigen Gestalt, die er zuletzt gefunden hat, wie vorhin angenommen worden, selbst ein sehr männlicher Heiliger mit kriegerischen und jägerischen Nebenuntugenden, so wäre aus den geschilderten Umständen zu schließen, daß die in ihm steckende Neigung zum Lästerlichen nirgends in ihrer immerhin großartigen Gänze herauskönne, noch die Gelegenheit finde, sich an der Wirklichkeit zu läutern, und darum auf allerhand recht sonderbaren, unkontrollierten Wegen anzutreffen sein dürfte, auf denen sie der unfruchtbaren Eingeschlossenheit entschlüpft. Es mag nun offen bleiben, ob bis hieher alles ein Spiel mit Einbildungen gewesen sei oder nicht, so läßt sich doch nicht leugnen, daß diese letzte Vermutung ihre eigenartige Bestätigung hat. Es gibt eine namenlose Lebensstimmung, die nicht gerade wenig Menschen heute im Blut liegt, ein Gewärtigsein des Böseren, eine Tumultbereitschaft, ein Mißtrauen gegen alles, was man verehrt. Es gibt Menschen, die über die Ideallosigkeit der Jugend klagen, aber in dem Augenblick, wo sie handeln müssen, sich ganz von selbst nicht anders entscheiden wie jemand, der aus gesündestem Mißtrauen gegen die Idee deren sanfte Kraft durch die Wirkung irgendeines Knüttels verstärkt. Gibt es, anders gesagt, irgendeinen frommen Zweck, der sich nicht mit ein klein wenig Korruption und Berechnung der niederen menschlichen Eigenschaften ausstatten müßte, um in dieser Welt für ernst und ernst gemeint zu gelten? Worte wie: binden, zwingen, in die Schraube nehmen, vor zerbrochenen Fensterscheiben nicht zurückscheuen, starke Methode, haben einen angenehmen Klang von Verläßlichkeit. Vorstellungen von der Art, daß der größte Geist, in einen Kasernhof gesteckt, binnen acht Tagen vor der Stimme eines Feldwebels springen lernt, oder daß ein Leutnant und acht Mann genügen, um jedes Rednerparlament der Welt zu verhaften, haben zwar erst später ihren klassischen Ausdruck in der Entdeckung gefunden, daß man mit einigen Löffeln Rhizinusöl, die man einem Idealisten einflößt, die unbeugsamsten Überzeugungen lächerlich machen kann, aber sie hatten schon lange, obgleich sie mit Entrüstung verfemt wurden, den wilden Auftrieb unheimlicher Träume. Es ist nun einmal so, daß zumindest der zweite Gedanke eines jeden Menschen, der vor eine überwältigende Erscheinung gestellt wird, und sei es auch, daß sie ihn durch ihre Schönheit überwältige, heute der ist: du wirst mir nichts vormachen, ich werde dich schon kleinkriegen! Und diese Verkleinerungswut einer nicht nur mit allen Hunden gehetzten, sondern auch hetzenden Zeit ist wohl kaum noch die dem Leben natürliche Zweiteilung in Rohes und Hohes, weit eher ein selbstquälerischer Zug des Geistes, eine unaussprechliche Lust an dem Schauspiel, daß sich das Gute erniedrigen und wunderbar einfach zerstören lasse. Es sieht einem leidenschaftlichen Sich-selbst-Lügen-strafen-Wollen nicht unähnlich, und vielleicht ist es gar nicht das Trostloseste, an eine Zeit zu glauben, die mit dem Steiß voraus zur Welt gekommen ist und von des Schöpfers Händen bloß gewendet zu werden braucht.
Es wird also ein Männerlächeln vielerlei von solcher Art ausdrücken, auch wenn es sich der Selbstbeobachtung entzieht oder überhaupt noch nie durchs Bewußtsein gegangen ist, und so beschaffen war das Lächeln, mit dem sich die meisten der eingeladenen berühmten Fachleute in die lobenswerten Bestrebungen Diotimas fügten. Es stieg als Kitzel an den Beinen empor, die nicht recht wußten, wohin sie sich hier wenden sollten, und landete als wohlwollendes Staunen im Gesicht. Man war froh, wenn man einen
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