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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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Genauigkeit hat es leider so weit gebracht, daß ihr als die richtige Ergänzung die lebendige Ungenauigkeit erscheint. Warum wollen Sie mich nicht verstehen? Wahrscheinlich sind Sie gänzlich unfähig dazu, und es ist lasterhaft von mir, daß ich mir die Mühe nehme, Ihren zeitgemäßen Kopf zu verwirren. Aber wahrhaftig, Gerda, manchmal frage ich mich, ob ich nicht unrecht habe. Vielleicht tun gerade jene, die ich nicht leiden kann, das, was ich einmal gewollt habe. Sie tun es vielleicht falsch, sie tun es hirnlos, einer rennt dahin, der andere dorthin, jeder mit einem Gedanken im Schnabel, den er für den einzigen auf der Welt hält; jeder von ihnen kommt sich furchtbar klug vor, und alle zusammen glauben sie, daß die Zeit zur Unfruchtbarkeit verdammt ist. Aber vielleicht ist es umgekehrt, und jeder von ihnen ist dumm, aber alle zusammen sind sie fruchtbar? Es scheint, daß jede Wahrheit heute in zwei einander entgegengesetzte Unwahrheiten zerlegt auf die Welt kommt, und es kann auch das eine Art sein, zu einem überpersönlichen Ergebnis zu gelangen! Der Ausgleich, die Summe der Versuche entsteht dann nicht mehr im Individuum, das unerträglich einseitig wird, aber das Ganze ist wie eine Experimentalgemeinschaft. Mit einem Wort, seien Sie nachsichtig mit einem alten Mann, den seine Einsamkeit manchmal zu Ausschreitungen veranlaßt!«
    »Was haben Sie mir nicht schon alles erzählt!« erwiderte Gerda darauf finster. »Warum schreiben Sie nicht ein Buch über Ihre Anschauungen, Sie könnten vielleicht sich und uns damit helfen?«
    »Aber wie komme ich denn dazu, ein Buch schreiben zu müssen?!« meinte Ulrich. »Mich hat doch eine Mutter geboren und kein Tintenfaß!«
    Gerda überlegte, ob ein Buch von Ulrich jemandem wirklich helfen könnte? Wie alle jungen Leute aus ihrer Freundschaft überschätzte sie die Kraft des Buchs. Es war völlig still geworden in der Wohnung, seit die beiden schwiegen; es schien, daß das Ehepaar Fischel hinter den empörten Gästen das Haus verlassen hatte. Und Gerda spürte den Druck der Nähe des mächtigeren Manneskörpers, sie spürte ihn immer, gegen alle ihre Überzeugungen, wenn sie allein waren; sie lehnte sich dagegen auf und begann zu zittern. Ulrich bemerkte es, stand auf, legte seine Hand auf Gerdas schwache Schulter und sagte zu ihr: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Gerda. Nehmen wir an, daß es im Moralischen genau so zugehe wie in der kinetischen Gastheorie: alles fliegt regellos durcheinander, jedes macht, was es will, aber wenn man berechnet, was sozusagen keinen Grund hat, daraus zu entstehen, so ist es gerade das, was wirklich entsteht! Es gibt merkwürdige Übereinstimmungen! Nehmen wir also auch an, eine bestimmte Menge von Ideen fliegt in der Gegenwart durcheinander; sie ergibt irgendeinen wahrscheinlichsten Mittelwert; der verschiebt sich ganz langsam und automatisch, und das ist der sogenannte Fortschritt oder der geschichtliche Zustand; das Wichtigste aber ist, daß es dabei auf unsere persönliche, einzelne Bewegung gar nicht ankommt, wir können rechts oder links, hoch oder tief denken und handeln, neu oder alt, unberechenbar oder überlegt: es ist für den Mittelwert ganz gleichgültig, und Gott und Welt kommt es nur auf ihn an, nicht auf uns!«
    Er machte unter diesen Worten Miene, sie in seine Arme zu schließen, obgleich er fühlte, daß es ihn Überwindung koste.
    Gerda wurde zornig. »Zuerst fangen Sie immer nachdenklich an,« rief sie aus »und dann kommt das ganz gewöhnliche Gegockel eines Hahns heraus!« Ihr Gesicht war heiß und hatte kreisrunde Flecke, ihre Lippen schienen zu schwitzen, aber irgend etwas war an ihrer Empörung schön. »Gerade das, was Sie daraus machen, ist es, was wir nicht wollen!« Da konnte Ulrich nicht der Versuchung widerstehen, sie leise zu fragen: »Besitz tötet?«
    »Ich will nicht mit Ihnen darüber sprechen!« gab Gerda ebenso leise zurück.
    »Es ist das gleiche, ob es der Besitz eines Menschen oder einer Sache ist« fuhr Ulrich fort. »Ich weiß das auch. Gerda, ich verstehe Sie und Hans besser, als Sie glauben. Was wollen Sie also und Hans? Sagen Sie es mir.«
    »Sehen Sie: nichts!« rief Gerda triumphierend aus. »Man kann es nicht sagen. Auch Papa sagt immerzu: ‚Mach dir doch klar, was du willst. Du wirst sehen, daß es Unsinn ist‘. Alles ist Unsinn, wenn man es sich klar macht! Wenn wir vernünftig sind, kommen wir nie über Gemeinplätze hinaus! Jetzt werden Sie wieder etwas einwenden, in Ihrem

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