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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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blieb oft bei einem Wort eine lange Weile stehn, und wenn er es schließlich verließ, ohne recht zu wissen wie, kam ihm das Wort nach einiger Zeit mit einemmal wieder anderswo entgegen. Er lachte vor Vergnügen, weil niemand wußte, was ihm begegnete. Es ist schwer, einen Ausdruck für diese Einheit seines Wesens zu finden, die er in manchen Stunden erlangte. Man kann sich wohl leicht vorstellen, daß das Leben eines Menschen wie ein Bach dahinfließt; aber die Bewegung, die Moosbrugger in dem seinen wahrnahm, floß wie ein Bach durch ein großes stehendes Wasser. Vorwärts treibend, verflocht sie sich auch rückwärts, und der eigentliche Lauf des Lebens verschwand fast darin. Er selbst hatte einmal in einem halbwachen Traum davon die Empfindung, daß er den Moosbrugger des Lebens wie einen schlechten Rock am Leib getragen hätte, aus dem jetzt, wenn er ihn zuweilen etwas öffnete, in wäldergroßen Seidenwellen das wunderlichste Futter quoll.
    Er wollte nicht mehr wissen, was draußen vor sich ging. Irgendwo war Krieg. Irgendwo war eine große Hochzeit. Der König von Beludschistan kommt jetzt an – dachte er. Überall exerzierten die Soldaten, wandelten die Huren, standen die Zimmerleute in den Dachstühlen. In den Wirtshäusern von Stuttgart quoll das Bier aus dengleichen krummen gelben Hähnen wie in Belgrad. Wenn man wandert, frägt einen überall der Gendarm nach den Papieren. Überall drücken sie einem einen Stempel hinein. Überall gibt es entweder Wanzen oder keine. Arbeit oder nicht. Die Weiber sind alle gleich. Die Ärzte in den Spitälern sind alle gleich. Wenn man abends von der Arbeit kommt, sind die Menschen auf den Straßen und tun nichts. Immer und überall ist es das gleiche; es fällt den Leuten nichts ein. Als der erste Aeroplan durch den blauen Himmel über Moosbruggers Kopf flog, das war schön gewesen; aber dann kam ein solches Flugzeug nach dem andern, und eines sah wie das andere aus. Das war ein anderes Einerlei als das der Wunder seiner Gedanken. Er begriff nicht, wie es zuwege kam, und es war ihm überall im Weg gewesen! Er schüttelte den Kopf. »Hol der Teufel« dachte er »diese Welt!« Oder mochte der Henker ihn holen, er verlor nicht viel dabei…
    Trotzdem ging er zuweilen wie in Gedanken zur Tür und versuchte leise an der Stelle herum, wo außen das Schloß saß. Dann sah vom Gang durch die Guckscheibe ein Auge herein, und eine böse Stimme folgte, die ihn schalt. Vor solchen Beleidigungen wich Moosbrugger rasch in die Zelle zurück, und es geschah dann, daß er sich eingesperrt und beraubt fühlte. Vier Wände und eine eiserne Tür sind nichts Besonderes, wenn man aus und ein geht. An einem Gitter vor einem fremden Fenster ist auch nicht viel daran, und daß eine Pritsche oder ein Holztisch ihren festen Standplatz haben, ist nur in Ordnung. In dem Augenblick aber, wo man damit nicht mehr umgehen kann, wie man will, entsteht eben etwas, das ganz unsinnig ist. Diese Dinge, vom Menschen gemacht, Diener, Sklaven, von denen man nicht einmal weiß, wie sie aussehen, werden frech. Sie gebieten Halt. Wenn Moosbrugger bemerkte, wie die Dinge mit ihm herumbefahlen, hatte er nicht übel Lust, sie auseinanderzureißen, und mußte sich mühevoll überzeugen daß ein Kampf mit diesen Dienern der Justiz seiner nicht würdig sei. Aber das Zucken in seinen Händen war so stark, daß er sich fürchtete, krank zu werden.
    Man hatte sechs Quadratmeter der weiten Welt ausgewählt, und Moosbrugger ging darauf hin und her. Das Denken der gesunden, nicht eingesperrten Menschen glich übrigens sehr dem seinen. Obgleich sie vor kurzem noch lebhaft von ihm beschäftigt worden waren, hatten sie ihn rasch vergessen. Er war auf seinen Platz gebracht worden wie ein Nagel, der in die Wand geschlagen wird; wenn er einmal darin steckt, nimmt ihn niemand mehr wahr. Andere Moosbruggers kamen an die Reihe; sie waren nicht er, sie waren nicht einmal die gleichen, aber sie leisteten den gleichen Dienst. Es war ein Sexualverbrechen gewesen, eine dunkle Geschichte, ein grauenhafter Mord, die Tat eines Wahnsinnigen, die Tat eines nur halb Unzurechnungsfähigen, eine Begegnung, vor der sich eigentlich jeder Mensch in acht nehmen müßte, ein befriedigendes Zugreifen des Kriminaldienstes und der Justiz…: solche allgemeinen, inhaltsarmen Begriffe und Erinnerungsbereitschaften spannen den leergesogenen Vorfall an irgendeiner Stelle ihres weiten Netzes ein. Man vergaß Moosbruggers Namen, man vergaß die Einzelheiten. Er

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