Der Mann schlaeft
starker Wind aufgekommen, der die Palmen unruhig werden ließ, wie Hände klatschten sie gegen die Scheiben, und ich meinte für Sekunden das Gesicht eines Herrn zu sehen, der mir in verwaschener Art bekannt vorkam.
Heute.
Nachmittag.
Wir haben die Wohnung verlassen. Auf der Gasse nickt Kim mir zu, auf eine ernsthafte Art, die sie vielleicht aus Fernsehkrimis kennt, so ein Folgen Sie mir ohne großes Theater Nicken.
Ich sehe die Traurigkeit des Mädchens in ihren Bewegungen. Obwohl sie vor mir die Treppen betont fröhlich hinaufspringt, scheint das Hüpfen so falsch wie mitunter der erwachsene Ausdruck ihrer Sprache.
Der Hügel über dem Hafen. In dieser Gegend wohnen viele Amerikaner und Engländer, Männer mit wenig Geschmack, aber peinlich darauf bedacht, dass sie nicht wie Bankangestellte wirken, und energische kleine Frauen mit praktischen Frisuren und weißen Hemden. Ihre blankgeputzten Kinder gehen in internationale Schulen, die Häuser schauen aufs Meer, mit der in Hongkong üblichen gezähmten Dschungelgrünkultur im Garten. Die Weißen bewegen sich betont lässig und selbstverständlich. »Sicher, wir sind Kolonialherren, die nichts mehr zu sagen haben, aber wir sind doch auch ein bisschen eure Freunde geworden, ist es nicht so?« scheinen ihre federnden Bewegungen zu sagen. Sind sie nicht. Die Chinesen mögen die weißen Teufel nicht, die ihnen zwar zum Wohlstand verholfen haben, aber wer will schon gerne Geschenke, für die er bezahlen muss.
Rührende weiße Rasse, die sich wacker durch die Welt schlägt. Stämmige deutsche Ärztinnen in Obdachlosencamps,teetrinkende Engländer im Staub Afrikas, da bauen sie Brunnen, wollen Ordnung, gerade Straßen, Demokratie und Ampeln, und man dankt es ihnen, indem man ihnen den Kopf abschlägt, sowie sich eine Gelegenheit dazu findet.
Wir kommen an den letzten Häusern vorbei, bevor der Weg durch unbewohntes Gebiet führen wird.
Häuser haben mich schon immer traurig gemacht, entweder sind sie hilflose Versuche des Menschen, es sich nett zu machen, da wird Klinker angebracht und innen Fichtenholz, und das sitzen sie dann und frieren. Oder die Häuser sind so elegant, dass der Mensch in ihnen wie etwas Störendes wirkt. Schöne Häuser scheinen immer etwas zu erwarten und sind nicht in der Lage mitzuteilen, um was es sich handelt. Vielleicht gibt es ein paar gutgestaltete Babys, die sich in der Villa Tugendhat noch einigermaßen ausnehmen, aber sowie sie wachsen, beginnen Fleischwülste an Stellen zu gedeihen, die der Optik abträglich sind.
Der Weg führt über den Kamm hinunter zum Ufer, bis zu einer kleinen Lichtung, die aussieht wie aus einem Walt-Disney-Film, mit einem roten Haus, das wirkt wie eine Riesenschuhschachtel.
»Das ist es«, sagt Kim. »Hier komme ich immer her, wenn ich traurig bin, um mir vorzustellen, ich sei erwachsen und bräuchte keinen mehr.« Das Haus steht offensichtlich schon lange leer, aber es verfehlt seine Wirkung nicht. Es sieht aus wie der Bruder des Hauses, in dem ich mit dem Mann gelebt hatte. Irgendwann.
Damals.
Vor dreieinhalb Jahren.
Es war mir, wieder allein in meiner Stadt, nicht wohl gewesen. Benommen war ich in einem verschlissenen Morgenmantel durch meine Zimmerfluchten gewankt und hatte Blut gehustet, in kleinen Fäden war es auf den Leopardenkragen getropft und hatte sich von da in einem Rinnsal über die weißen Lilien ergossen, die ich in den verkrampften, immer kalten Händen trug.
In jedem Zimmer verharrte ich und wartete, dass sich ein bekanntes Gefühl einstellen mochte. Doch da kam nichts, außer dass mir die überwältigende Sinnlosigkeit des Alleinseins das Atmen schwermachte. Die vertanen Jahre, die ich irgendwo gestanden und geseufzt hatte, lagen vor mir auf dem Boden wie tote Käfer. Warum bilden sich Menschen seit einigen Jahrzehnten ein, alleine leben zu können? Da hatten sie im Zuge aller Neuerfindungen der endsechziger Jahre gerade noch die Familienverbände abgeschafft. Kommunenversuche oder Alleinleben, keins davon taugte wirklich. Der Mensch ist entweder geistig gestört und hockt alleine in einem Raum zusammen mit Vogelspinnen und einer Eisenbahn, oder er braucht eine Bezugsperson, zum Anfassen. Liebesbeziehungen sind nicht dazu da, mit unserem Seelenpartner über Kultur zu reden, sondern einzig, um berührt zu werden, und das möglichst mit wenig Unterbrechungen.
Bevor ich den Mann getroffen hatte, mit dem ich in einer Art verkehrte, wie es junge Tiere tun, hatte ich auch geglaubt,dass ein
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