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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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Arm zu heben, was mir aus seltsamen Gründen nicht möglich ist.
    Von draußen die kleinen Laute mikroskopischer Universen, da keines ein anderes berührt.
    Vermutlich sind wir alle nicht fähig, so zu lieben, wie es unsvorgehalten wurde, über Jahrhunderte, ein Instinkt, mit falscher Bedeutung aufgeladen. Fast jeder scheitert an der Idee, die er von der Liebe vermittelt bekommen hat. Selbstlos, groß und leidenschaftlich. Und ist doch nur ein kleines Feuer, an dem man sich wärmt. Diese Kälte, die durch das Fenster kriecht, in den Raum, in mein Bett, meinen Körper, der steif von ihr wird.

Damals.
Vor vier Jahren.
    Von da an waren wir zusammen.
    Ein Satz, den ich in meinem Leben bisher ebenso wenig verwendet hatte wie: »Ich bin Arzt, lassen Sie mich durch.« Oder: »Sie werden von meinen Anwälten hören.«
    Ich erwachte am Morgen durch das Licht, das auf meinem Gesicht stand, eng an den Mann gepresst, der gut roch und warm war. Die Sonne hatte Teile des Steinbodens erwärmt, oder mich; ein wenig feucht roch es immer in dem alten Haus.
    Ich ging, »Sie werden von meinen Anwälten hören« murmelnd, in die Küche, die übertrieben nach Jasmin duftete, machte mir einen Kaffee und stand mit ihm dann vor der Tür. Zu Hause hätte ich jetzt Nachbarn in gegenüberliegenden Häusern angesehen, die sich mit kleinen unglücklichen Gesichtern auf einen Tag vorbereiten, um den sie nicht gebeten haben.
    Hier lag eine zarte Nebelschicht über dem See, die Sonne warf ein flaches orangefarbenes Licht, und von links fuhr ein Boot. Warum nicht.
    Von da an waren wir zusammen.
    Ich bestieg den Rücken des Mannes, der das Frühstück zubereitete, verblieb da und ließ mich in den Garten tragen, wo wir redeten oder auch nicht, meist nicht am Morgen.
    Der Mann schien nicht mehr von mir zu erwarten, als dass ich in seinem Garten saß, den See beobachtete und ab und anlaut über Menschen nachdachte, die glaubten, von Meteoriten infiziert zu sein. Ich erinnerte mich an die seltsame Bekannte aus meinem alten Leben, der dieses unangenehme Schicksal beschieden war. Frauen neigen häufiger als Männer dazu, ihre Existenz durch aberwitzige Geschichten aufzuwerten. Sie werden wiedergeboren, haben heilerische Fähigkeiten, Borderline oder werden von Meteoriten infiziert. Normal. Männer sind einfach, Frauen brauchen einen Grund zum Sein.
    Die Frau, von der ich zu berichten wusste, zeigte mir gerne ihre Fingernägel, unter denen sie Spuren fremden Lebens glaubte. Ich hatte noch nie daran gezweifelt, dass Menschen tüchtig einen an der Waffel hatten.
    Der Mann hingegen wusste mit der Geschichte eines Gurus aufzuwarten, der in der Umgebung lebte und seinen Anhängern das Erlernen der Flugfähigkeit ohne technische Hilfsmittel in Aussicht stellte.
    Männer werden Gurus, und Frauen folgen dem Quark. Lassen sich auf Vielweiberei ein, übereignen Gurus ihre Kinder, waschen ihm die Füße, schleppen Geld für ihn an. Seit Jesus nicht viel Neues.
    Von da an waren wir zusammen.
    Und der Mann hatte sich freigenommen, für mich, und nach dem Frühstück fuhren wir an dem bizarr blauen See entlang, auf die italienische Seite, wo die Häuser schöner und der Himmel noch blauer war, weil er hinter rosenfarbenen Villen schwebte. Eine Gegend, geschaffen für Lehrerehepaare, die einander aus Reiseführern vorlesen, mich machte sie unbestimmt melancholisch, sie wirkte wie eine elegante Rassekatze, die aber demnächst sterben würde und nur noch träge auf einer Fensterbank lag.
    Die Welt, wie sie sein sollte, Promenaden mit attraktiven älteren Menschen, ein Café hatte weiße gusseiserne Stühle auf den Bürgersteig gestellt, langsam fuhren Schwäne oder Boote auf dem See vorüber.
    Auf einmal wurde mir klar, dass all die Jahre stilisierter Einsamkeit, all dieses: Wir sind die Generation der Einsamen und wir leiden, all dieses Sich einmalig Fühlen in der Unfähigkeit sich zu binden, nichts weiter war als ein großes, sich ständig wiederholendes Theater. Was hatten wir uns besonders gefühlt! Getriebene Wölfe in dampfenden Großstädten mit Ausdünstungen aus U-Bahn-Schächten, die Hände tief in den Taschen. In Bars hatten wir frierend gestanden mit unserem kajalumrandeten Schmerz. Nur wir wussten, was Leiden meinte, schliefen in ungeheizten Wohnungen, die nach Rauch rochen und in denen der Kühlschrank leer war. Und was war davon geblieben, außer dass wir erst alt werden mussten, um zu erkennen, dass Alleinsein noch trauriger ist, als zu zweit in einem

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