Der Mann schlaeft
meine Impulse meinem Wissen nicht unterordnen. Ich versuchte nicht zu erforschen, welcher Abwehrreflex es war, den ich auslebte. Das Naheliegendste war, dass ich die Belastbarkeit des eventuellen Partners auf die Probe stellen wollte. Oder dass ich versuchte, mich vor der Enttäuschung zu schützen, die so vertraut war. Ich wartete auf die unerträgliche Angewohnheit, die misshandelte Exfrau, das gefesselte Kind im Keller, auf etwas, dases mir unmöglich machen würde, bei dem Mann zu bleiben, und vollzog, was mir an Krieg möglich war. Ich fand mich täglich wütend vor dem Haus sitzen, im Versuch, herauszufinden, was mich so wütend gemacht hatte. An der Beantwortung dieser Frage scheiterte ich, sah in den Himmel, der war immer blau, und die Perfektion der Umgebung brachte mich noch stärker auf. Nachdem ich glaubte, mich ein wenig unter Kontrolle zu haben, ging ich wieder ins Haus und fand den Mann stets in entspannter Stimmung. Er sprach mich nie auf meine Anfälle an, was ich ihm hoch anrechnete, er wollte nicht wissen, woher die Wut kam, und nicht, ob in meiner Kindheit ungebührliche Vorfälle stattgefunden hatten.
Doch auch sein Gleichmut kam mir ungelegen. »Nichts interessiert dich, nichts regt dich auf, du bist wie etwas, das –«, und das fiel mir dann nicht ein, das Bild zum Gefühl, etwas sehr Leeres, stieß ich mit einer schrillen Stimme, die mir unangenehm war, hervor, einfach weil er in seiner Küche stand und mir ein Abendbrot zubereitete.
Langsam wandte der Mann sich mir zu, und für eine Sekunde hoffte ich, er würde mich mit einem Handtuch erschlagen, damit ich Ruhe hätte, vor dem in mir, was ich weder verstehen noch kontrollieren konnte.
»Ich interessiere mich für dich, der Rest kann dir doch egal sein«, sagte er und sah mich ein wenig müde an.
Ich war mir sicher, dass in jenem Moment seine Zuneigung zu mir erlosch, gleich würde er mir freundlich nahelegen, mich zum Bahnhof zu begleiten. In einigen Stunden wäre ich wieder zu Hause. Welches Zuhause, was wollte ich da?
Wahrscheinlich wehrte ich mich einfach gegen eine Änderung in meinem Leben. So wie Theaterabonnenten oderLeser, die aufbrausende Briefe schrieben, weil irgendetwas Neues passierte und der Mensch verdammt noch mal nur eine begrenzte Masse von Neuem verkraften kann.
An mehr würde ich mich später nicht mehr erinnern können, nur dass mein neues Leben wütend begann und der Mann freundlich blieb. Er war gut zu mir, in jedem Moment.
Heute.
Nachmittag.
Das Haus. Dieses verdammte rote Haus mit den alten Bleiglasfenstern. Ich fühle die Kälte des Steinfußbodens, ich habe den Geruch des Tessins in mir, der sich mit dem von Kaffee vermischt, mit dem idiotischen Feigenspray angereichert, das ich permanent versprüht habe, weil es sich so erwachsen anfühlt, Raumparfüm zu verwenden. Und dahin sehe ich mich zurückkehren. Die Tür öffnen, die über den Boden schrammt, weil sie verzogen ist, und es riecht wohl nach Nässe und Kälte, nach altem Kaffee und altem Leben. Das Haus ohne den Mann, alleine in einem Bett liegen, alleine unsere Wege gehen, das wird vielleicht das Schlimmste. Alleine gehen, und die Leere spüren neben mir.
Irgendwann hatte der Mann mich gebeten, wenn ich ihn verließe, nicht unsere Wege zu gehen, mit einem neuen Menschen.
Ich werde nie mehr unsere Wege gehen, nie mehr, ich verspreche es dir, hatte ich gesagt und merke erst jetzt, was er mit seiner Bitte gemeint hatte.
Ich verliere die Fassung, auf eine Art, wie ich sie in den vergangenen Wochen hatte vermeiden können. Die Anwesenheit eines Menschen, selbst wenn es nur ein halber ist, der einen eventuell trösten kann, verführt mich zu unbändigem Selbstmitleid. Vermutlich ist das, was Menschen stark macht, nur die Abwesenheit von Mitleid anderer. Es ist keiner da zum Trösten, so einfach ist es, man strafft das, was übrig ist, zueiner gehfähigen Form und läuft weiter, dem genetischen Code folgend.
Es scheint, dass auch mein Fleisch aufweicht, es hängt seltsam an mir, wie Spiegeleier, über Stöcken trocknend, die Stöcke in dem Zeitloch, in das ich gerade gefallen bin.
Das Mädchen, so bemerke ich nach einer ganzen Weile, sitzt unangenehm berührt neben mir. Vielleicht meine ich auch nur, dass sie unangenehm berührt ist, denn sie beginnt mich zu berühren, wie man einen unbekannten Pelzmantel berührt. Nach ein paar Minuten sagt sie: »Das sind doch alles nur Bilder, wegen denen wir traurig sind.« Über den Wahrheitsgehalt dieses Satzes
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