Der Mann schlaeft
suchend um sich blickte. Ich wollte mich unter ihm verstecken.
Ich kroch unter sein Hemd, der Ort, an dem mir nichts passieren kann. Konnte es aber doch, denn die Tür öffnete sich, und die Irre stand im Raum. Sie hielt ihre Hand in der Hand. Die Irre hatte sie sich abgeschlagen. Das Blut werde ich nie mehr aus dem alten Holzboden bekommen. Noch nach Jahren wird es mit forensischer Technik sichtbar gemacht werden können.
Heute.
Mittag.
Vielleicht bin ich gestorben, wieder aufgewacht und muss bis in die Unendlichkeit den trostlosesten Moment meines Lebens wiederholen: zum Strand laufen, in ewigem Mittag, die Betonplatten betrachtend. Die schwüle Feuchtigkeit der Ebene, durch die der Weg ein paar hundert Meter weit führt, eine Landschaft, die ich immer mit Agent Orange und Vietnam verbinde, Malaria und Vietcong, ich kenne jeden öden Strauch, jedes verdammte Insekt, das über die Betonplatten schlendert. Gleich werde ich umfallen und nie wieder aufstehen vor Langeweile.
»Sie haben Ihr Leben angehalten und warten, ob es lohnt, zu einem Zeitpunkt, der ihnen günstiger erscheint, die Batterien wieder einzulegen.« Der Masseur spricht so leise, dass ich mich frage, ob er nur gedacht hat. Ich sage nichts, denn es scheint mir übertrieben sensibel, auf Gedanken zu antworten. Schweigend gehen wir den Weg zum Strand, an dem heute Morgen noch zwei Leichen lagen, um in ungefähr zwanzig Meter Entfernung von ihren Abdrücken, die sich vielleicht noch im Sand befinden, Suppe zu essen. Wir werden das Meer ansehen und die Sonne, die über dem Kohlekraftwerk steht, und die Wellen werden silbern sein, und dann gehen wir schlafen, und abends essen wir wieder, um noch mehr zu schlafen, und irgendwo in einer Halle auf der Insel liegen zwei Männer, tot, und ich frage mich, ob sie ihnen die Hände ineinander gelassen haben oder ob sie sie getrennt haben,und ob sie da jetzt liegen und frieren und sich nach einander sehnen und nicht wissen, wie sie zueinanderkommen können. Wer weiß schon, wie es einer Leiche geht.
»Wir nehmen uns zu wichtig«, sagt der Masseur und schaut auf die Sonne, die über dem Kraftwerk steht, und auf die silbernen Wellen, das Ufo der beiden Männer wurde entfernt, ob es wohl auf einem Schrottplatz ruht, das Symbol eines lächerlichen Traums. Wie soll man sich nicht wichtig nehmen, die einzige Person, die man vierundzwanzig Stunden am Tag um sich hat. Andere wird man doch nie kennen, kann sich im besten Fall mit Sympathie an sie gewöhnen und eine Ahnung ihrer Vorlieben bekommen.
Wir sitzen unterdessen in dem Suppenlokal, in dem ich alle zwei Tage verkehre. Es wird von Mutter und Tochter betrieben, die sich verbittert in ihr Schicksal gefügt zu haben scheinen, das heißt, dass neben der Hütte, in der sie ihre Küche betreiben, der ständig betrunkene Gatte und Vater sitzt und seine Schuhe beschimpft, die in der Tat nicht besonders dazu geeignet sind, liebevoll auf den Arm genommen zu werden. Die Mutter hat graue, verwaschene Haare und diesen breiten Schritt, der mich immer denken lässt, dass sich Windeln in den Hosen der Trägerin befinden. Ihr Mund ist grotesk nach unten gezogen; Hugo, die lachende Maske, kommt mir in den Sinn. Man müsste die Frau auf den Kopf stellen, um eine positive Wendung in ihrem Gesicht herbeizuführen. Die Tochter ist die seltsam alterslose Version ihrer Mutter, die Mundwinkel in der Mitte stehengeblieben, sie weiß um ihre Zukunft: Irgendwann die beiden Idioten von Eltern zu Tode pflegen, sie füttern, ihre Körper reinigen, die Suppenküche weiterführen, vielleicht einmal einen Säufer heiraten, der anstelleihres Vaters dessen Schuhe beschimpfen kann, alt werden und vielleicht ein Kind haben, das sie hassen würde. Man sieht doch ausschließlich Leben, die man um keinen Preis führen möchte.
»Warum leiden Sie, warum fragen Sie sich in jeder Sekunde, was Sie als Nächstes tun sollen? Ganz einfach, weil Sie sich zu wichtig nehmen. Wenn es Ihnen egal wäre, dann würde sich die Frage nach einem Sinn nicht stellen. Sie würden essen und schlafen, würden in Ihre Heimat zurückgehen und die nächsten kurzen dreißig Jahre, die Ihnen vielleicht noch bleiben, ohne großes Aufheben absolvieren.« Der Masseur lässt nicht ab von seiner These der Selbstüberschätzung. Ich kenne das Gefühl, da man erwacht und vermeint, eine überwältigende Erkenntnis habe einen aufgesucht über Nacht. Ich erinnere mich, wie unendlich erhaben man sich fühlt mit Ideen wie: »Ich muss gelassener
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