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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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können uns nicht trösten, und ich sehe mich in ihm und ahne, dass da lange einsame Jahre vor mir liegen. Ich bin wie er bereits in einem Alter, in dem der Mensch hart geworden ist, weil die Welt ihren Zauber verloren hat. Ich werde mir ein eigenes Fenster suchen müssen, vor das ich einen Sessel schieben kann, und eine Decke darauflegen, um zu warten.

Damals.
Vor einem Jahr.
    Je näher mir meine Erinnerungen kommen, umso schmuckloser werden sie. Die Dekoration entfällt. All die Orte und Straßen, Details wie Bekleidung und Tageszeiten lösen sich auf, und was bleibt sind Skizzen, aus Gefühlen gemacht, immer dichter werden sie zu etwas, was sich mir um den Hals legt.
    Das Gefühl war Hass.
    Wie ein Tintenfisch saß die merkwürdige Bekannte im Raum, egal welcher, es war immer der, in dem sie am meisten störte. Der Mann schlich sich morgens aus dem Haus und zwang sich abends zurückzukommen, um mich nicht allein zu lassen mit der Irren.
    Die merkwürdige Bekannte war seit drei Tagen zu Besuch, die wie Monate erschienen. Der Mann verließ das Haus am Morgen sehr zügig, ließ mich zurück mit der Bekannten, es lag mir fern, ihm die Flucht übelzunehmen. Er war ein Mann, dafür mochte ich ihn, doch es hieß, sich mit Gegebenheiten arrangieren zu lernen. Wann immer er unangenehmen Situationen entfliehen könnte, er würde es tun. Er würde nie etwas organisieren, an Einkäufe denken oder im übertriebenen Maße an Ordnung interessiert sein. Er würde nie ungefragt zugeben, dass ihm unwohl war oder er Angst hatte. Es gab Aufgaben, die ich stillschweigend übernahm, und ihre gleichgewichtige Verteilung schien mir lächerlich. Ich wollte keinen Mann, der Einkaufslisten schrieb und mit mir überGefühle sprach. Ich wollte, dass er die Einkäufe trug und Spinnen verjagte. Nur allzu verständlich verschwand er also, ich hätte es ihm gleichgetan, wenn ein alter Knochen aus seiner Vergangenheit angespült worden wäre. Vor mir lagen traurige Tage mit der Bekannten, die sich morgens für eine Stunde ins Badezimmer verabschiedete, um danach genauso unattraktiv wie zuvor wieder zu erscheinen. Nachdem wir gefühlte Ewigkeiten am Tisch gesessen und ihren uninteressanten Geschichten gelauscht hatten, versuchte ich, mich zum Arbeiten zurückzuziehen. Doch ich fand keinen Frieden. Ich wusste den Tintenfisch wenige Meter von mir, und das genügte, dass ich mich äußerst unwohl fühlte. Ich konnte schwer akzeptieren, wenn Menschen sich so gehenließen, dass sie zu einer ästhetischen Zumutung wurden. Die Bekannte benutzte kein Deo, Haare wuchsen an aberwitzigen Stellen ihres Leibes, der merkwürdig undefiniert war. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, dass ich zu arbeiten hatte, stand ihr grober Umriss in der Tür, und sie redete weiter und weiter; konnte ich ihr etwas in den Mund stopfen, etwas aus organischem Material, das für immer Ruhe brächte? Gerade sprach sie davon, sich anzunehmen. Meine Augen begannen wie im Wahn in ihren Höhlen zu rollen. Dass gerade die, die am weitesten von jedem inneren Gleichgewicht entfernt waren, am meisten davon quatschten, war nichts Neues. Die Bekannte war eine große Suchende. Mit verbissenem Mund ins Guruland. Und über jede banale Erkenntnis so froh, dass sie sie verteidigen musste wie ein Baby, damit sie ihr nicht verloren ging. Früher hätten mich solche Beobachtungen vielleicht noch amüsiert, ich hätte das Heer von gebatikten Deckenträgern, von Osho und Reiki, von Krishna, reformierten Christenund Scientologen als das verstanden, was sie sind – arme suchende Deppen, die sich ihre Unfähigkeit, selber auf eine befriedigende Lösung im Leben zu kommen, nicht eingestehen können, und immer Angst, solche Angst, dass jemand ihnen den Sinn, der nur geborgt ist, nehmen könnte, und so aggressiv darum.
    Heute langweilte es mich nur, weil sie waren wie alle. Jeder verteidigte seine kleine Welt und wurde böse, böse auf alles, was sie in Frage zu stellen versuchte, und sei es auch nur durch Ignoranz.
    Der Tintenfisch schob seine Ärmchen unter der Tür hindurch, in diesem Fall befand sich ein hässlicher Kopf daran.
    Der Krake wollte spielen. Irgendwas unternehmen, irgendwohin gehen, irgendwo rumsitzen. Ich dachte mit großer Sehnsucht an den Mann, der nie etwas wollte, keine Ankündigungen, und dann muss eine Unternehmung gemacht werden! und bewertet im Anschluss! Ich vermisste ihn, und jede Stunde, die ich mit der Irren verbrachte, war eine, die mir am Ende fehlen würde. So machten wir uns

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