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Der Mann schlaeft

Der Mann schlaeft

Titel: Der Mann schlaeft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sibylle Berg
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auf den Weg in die Stadt, beide mit unterdrückten Aggressionen, sie, weil ihr Leben unbefriedigend und ich da war, und somit schuld, und ich, weil sie mich an meine Jugend erinnerte. Als ich viele Bekannte hatte wie sie, neben denen ich schweigend lief, mit dem großen Bedürfnis, Bekannte zu haben, und redete, ohne etwas zu sagen, und schwieg, in unangenehmer Stille, und mich minderwertig fühlte, nicht genügend. Als wir in der Stadt ankamen und uns in ein Café setzten, war es viel zu gelb und viel zu heiß. Diese unangenehme Helligkeit, die eigentlich nur entsteht, wenn man mit den falschen Personen zusammen ist. Die Bekannte fing an, mir Fragen zu stellen, diedie Antworten schon enthielten. »Ihr redet aber nicht so viel miteinander?«, »Ihr habt jetzt nicht viel gemeinsam?«, »Das Haus ist ja eigentlich zu klein für zwei Personen?«, »Vertraust du ihm denn, wenn er den ganzen Tag weg ist?« Fragen auf einem Niveau, das mich weder interessierte noch irgendwie dazu gemacht war, dass ich antworten mochte.
    Die Bekannte, dieses alte schmutzige Hemd, das sich in einer Zwischenwand meines Koffers verfangen zu haben scheint, das ich nun mit mir transportieren muss, und alle Versuche, es wegzuwerfen, waren gescheitert. Sie akzeptierte keine Ausreden, verstand keine eleganten Hinweise, stellte sich bei Grobheiten taub, und so kam es immer dazu, seit fast zwanzig Jahren, dass sie ihren unangenehmen Körper durch Türen schob, hinter denen ich mich sicher glaubte. Wenn ich, was ich zu vermeiden suchte, mir vorstellte, dass die merkwürdige Bekannte mich bis zum Ende meines Lebens besuchen würde, vor der Tür stünde, nach allen Absagen, die ich ihr erteilte, dann wurde mir müde zumute und verzagt.
    Ein großes Stück Torte verschwand gerade in ihrem Mund, und für Sekunden hoffte ich, es würde ihre Atemwege blockieren. Ich hatte Angst davor, mit ihr zurück in mein Haus zu gehen. Alles an ihr machte mich bange. Ihre Empfindlichkeit, ihre Humorlosigkeit, die Art, in der ich ihre Eifersucht auf mich und mein Leben zu deutlich spürte, meine Feigheit, die mich davon abhielt, zu versuchen, sie für immer aus meinem Leben zu werfen.
    Die merkwürdige Bekannte ging zur Toilette, die ich in diesem Moment aufrecht bedauerte. Als sie nach Minuten noch nicht zurück war, suchte ich sie mit meinem Blick und sah sie mit einem Mann vor der Toilettentür stehen und reden. Diesmalwar ich mir sicher – es handelte sich um den unsichtbaren Herrn aus dem Zug. Er war doch hier. Ich möchte nicht behaupten, dass er mir gefolgt war. Doch seine Anwesenheit berührte mich unangenehm. Irgendetwas war falsch. Und bedrohlich, in einer Art, die ich nicht erklären konnte. Nachdem die merkwürdige Bekannte zum Tisch zurückgekehrt war, fragte ich sie nach dem Herrn, woraufhin sie mich leer ansah und sich ihrer Torte zuwandte.
    Wie lange war sie jetzt schon bei uns? Eine Woche, die sich wie ein Jahr anfühlte, oder umgekehrt? Wie sie ständig in Türfüllungen stand und strafend schaute, und dem Mann tat sie leid, und dann unternahmen wir Ausfahrten, bei denen ihr übel wurde, sie das Essen nicht vertrug oder sich gekränkt fühlte von irgendetwas, und dann fuhren wir in schlechtem Schweigen zurück, und sie ging in ihr Zimmer, das eigentlich mein Zimmer war und das ich desinfizieren musste nach ihrer Abreise. Ich sehnte mich so danach. Nach der Desinfektion. Und in einem Anfall von Wahn sagte ich ihr: »Ich weiß nicht, warum du mich besuchen kommst. Dir gefällt es hier nicht, und mir gefällt es nicht, dich hier zu sehen. Wir haben uns nichts zu sagen, wir mögen uns nicht einmal. Warum kommst du, ist das Masochismus? Geh doch einfach wieder nach Hause und such dir neue Freunde.« Danach schwieg ich, verstört von meiner eigenen Verzweiflung, die mich zu diesen Sätzen getrieben hatte, wie ich sie sonst nie gesagt hatte. Die merkwürdige Bekannte sprang auf und bewegte sich mit einer Behendigkeit, die ihr nicht zuzutrauen war, in Richtung meines Hauses. Ich lief ihr hinterher, wollte beschwichtgen, beschönigen, meine Worte zurücknehmen, und schaffte doch nur, hinter ihr zu laufen, zu beobachten, wie sieden Berg hochkroch gleich etwas, das man am liebsten erschlagen würde, wie sie in mein Zimmer polterte und danach erstaunliche Ruhe einkehrte. Ich saß in der Küche und wartete. Dass sie mit ihrem Koffer herauskam, dass irgendetwas geschah, doch nur der Abend kam, und mit ihm der Mann, der auch merkwürdig steif war und ängstlich

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