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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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hatten wir ermittelt). Seine Hast, Aufregung, Unruhe erschreckten Maren. Sie schlägt ihm vor, sich doch auf die Bank zu setzen. Und Lars gibt nach – aus Schwäche. Die Bank – etwas Gewöhnlicheres, Bekannteres. Die Spannung sinkt ab.
    Das glaube ich aus den unterschiedlichen Schilderungen herauszulesen. Tagebuch: nur Tür; Torsten: nur Bank.
Zunächst war klar: Die Bank mußte vermieden werden. Aber wie das erreichen? Und das war es nicht allein. Wir mußten Gesten, Worte, ja raffinierte Liebestechnik finden, um Marens Zweifel aufzulösen. Zugleich erwies sich immer deutlicher, daß durch die ungenaue Tagebuchstelle größere Interpretationsfreiheit gegeben war – hier und nirgends anders mußte der Durchbruch gewagt werden. Hinzu kam, daß wir nachweisen konnten, daß Maren in den nächsten zwei Jahren keine ernsthafte Beziehung zu einem Mann hatte. Bei vorheriger Korrektur traten also keine allzu großen Veränderungen ein. Allerdings war eine Trennung der beiden nicht zu umgehen – sie konnte nur verzögert werden.
Was geschieht, wenn es gelingt? Das beste wäre noch, die beiden fänden sich wenigstens für kurze Dauer und ließen Torsten und Ute nach knapp zwei Jahren befreit und beruhigt zurückkehren zu uns.
Aber das ist bloße Hoffnung, nicht mal graue Theorie.
Der Text. Lars muß wieder anfangen mit diesem »Zugmann«. Muß auf sich hinweisen. Nicht: »Wenn ich es nun gewesen wäre«, sondern: »Wenn ich dabeigewesen wäre – er hätte es nicht gewagt.« Ja, genau so! Er spricht vom Zusammensein, später von Zugehörigkeit, Sicherheit. Vom Zusammenwohnen (guter Anknüpfungspunkt für den Anschaffungs- und Möbelstellkomplex der Frauen damals, das neutralisiert schädliche Spannungen und verstärkt Erwartungen, die nicht direkt mit Lars verknüpft sind, sondern mehr mit der Ehe im allgemeinen), vom Zusammenwohnen, das diese Bahnfahrten allein, die Symbole der Gefahr, völlig beseitigt. Muß versuchen, Marens Zweifel an sich selbst, den Zweifel, Lars nicht stark genug an sich binden zu können, auszulöschen.
    Dies alles fixierten wir. Torsten lernte es. Dann kamen Proben, Bewegungsstudien, erst ohne, dann mit Modell (nicht Ute). Wir übten es ein wie ein Theaterstück. Willenstraining. Es bestand – ähnlich der Remanenz – eine gewisse Hoffnung, Willenskraft in die Vergangenheitsperson zu übertragen. Jedenfalls wurde es nicht ausgeschlossen, natürlich nur an Stellen großer Interpretationsfreiheit. Wir bauten Torsten als Star auf. Wir dopten ihn, wenn man so will. Präparierten ihn.
    Wieder das Wandlerzimmer. Man spürte förmlich die ängstliche Erwartung, aber auch Torstens festen Willen. Um so apathischer Ute.
    Nach zwei Tagen kamen sie zurück. Stumm hingen sie in den Gurten, verloren.
Aus.
Ein neuer Versuch – ein Tag nur, dann Schluß.
Wir schienen am Ende zu sein. Nirgendwo blieb ein Ausweg. Torsten flüchtete zu mir. Er brabbelte vor sich hin wie ein alter Mann. Unter endlosem Gekicher hörte ich die einzige »Neuigkeit« heraus, die er aus der Vergangenheit aufgeschnappt hatte. Warum an den Läden stand: »Vorübergehend geschlossen«? Nun, immer wenn man vorübergehe, hihi, sei eben geschlossen! Das wiederholte er bis zum Überdruß.
Er wog noch 106 und Ute noch 85 Pfund. Man gab ihnen noch zwei Monate Leben.
Eines Tages sagte er mir, er hätte von Pferden geträumt, von braunen, kraftvollen Tieren. Etwas von Stärke kehrte in seine Augen zurück. Er murmelte nicht mehr, schwieg den ganzen Tag.
Als ich am nächsten Morgen hochschreckte, war sein Bett leer. Seine Stimme klang gepreßt aus dem Fixator. »Ich versuche es noch einmal. Ich hole jetzt Ute.«
Etwa gegen fünf Uhr erschütterte eine Explosion das zu dieser Zeit noch leere Institut. Das Wandlerzimmer existierte nicht mehr. Irgendwelche Überreste von Ute und Torsten fand man nicht. Später stellte sich heraus, daß einige Personen auf einmal das Gedächtnis verloren hatten. Sie wußten nichts mehr von sich, ihrer Familie, ihrer Arbeit, dafür von ganz anderen Sachen. Neue Bindungen entstanden, alte zerfielen schlagartig.
War die Vergangenheit korrigiert worden?
Anne und ich wurden zur Verantwortung gezogen, ferner der unglückliche Wach- und Sicherheitsverantwortliche des Instituts. Ein generelles Zeitreiseverbot wurde erlassen. Darüber hinaus untersuchte man alle Forschungsvorhaben auf psychische Gefährdung hin.
Wie hatte im Tagebuch gestanden?
»Ihr Gesicht an der Wagenscheibe wurde weggetragen in jenen Frühling, dem auch

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