Der Mann von Anti
Schultern. Sie freute sich darüber, ihr wurde gleich wärmer. Er war ihr also wohlgesinnt, ihm konnte sie erzählen, wie sie damals… … Eriba-adad saß auf einem Polster und musterte sie. Scherua lag am Boden und wagte nicht aufzusehen. Warum hatte der König gerade sie zu sich befohlen, warum nicht eine der zahllosen Damen des Harems? So viele schöne Frauen hatte er, und ausgerechnet die Sklavin aus der Küche…? Wenn er sie doch nur rasch wieder wegschicken würde!
»Her zu mir!« knurrte er heiser, und das Mädchen rutschte ein paar Schritte näher. Niemand war außer dem Herrscher und ihr im Gemach, sie fürchtete sich sehr.
»Los, ‘runter mit den Fetzen!« brüllte der König unvermittelt. Scherua sah erschrocken für einen Augenblick auf, Eriba-adad hatte getrunken, sie roch es. Angst zuckte durch ihre Glieder. Aber eine Sklavin mußte gehorchen. Sofort.
»Soll ich erst nachhelfen?« kreischte er und richtete sich auf.
Das Mädchen wich in den finstersten Winkel zurück und suchte verzweifelt nach einem Ausweg. »Hilfe!« Aber niemand würde sie hören. Scherua entrang sich seinen Händen und lief in eine andere Ecke. Daraufhin schrie der König nach der Wache. Sofort traten zwei Bewaffnete herein.
»In den Kerker mit ihr! Morgen wird sie totgepeitscht. So ein widersetzliches Aas! Raus!«
Die beiden bärenstarken Kerle griffen nicht ohne Vergnügen zu, und Scheruas Schreie verhallten in den düsteren Gängen des Stadtschlosses von Ninive.
Das Mädchen hielt die Augen geschlossen, während sie sprach. Erst lange Zeit nach dem letzten Wort erinnerte sie sich an den Gott neben ihr und blickte auf. Sie erschrak: Finster und zornig sah sie der Unsterbliche an.
Jetzt wird er mich bestrafen. Ich hätte nicht so unehrerbietig über den König sprechen dürfen, aber er sagte mir ja…Ich habe den Herrscher geschmäht, der in der Gunst der Götter steht.
Sie zuckte, als er ihr sanft übers Haar strich. »Du brauchst nicht zu zittern, du darfst dich nicht fürchten, du bist frei. Eriba-adad ist tot, alle aus seiner Zeit sind tot; niemand von ihnen kann dir jemals wieder etwas antun. Ich gebe dir mein Wort!« Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie leicht an sich.
Scherua lächelte furchtsam. Gewiß, an dem Wort eines. Gottes durfte kein Sterblicher deuteln – und sie wollte es auch nicht. Und sein Arm war stark und warm.
»Wie… was konntest du tun…? Ich meine, auf welche Weise…?«
Darauf zu antworten, schien Konrad schwerzufallen. Er zögerte mit der Erwiderung und suchte nach Worten. Gewiß lag es am Assyrischen.
»Siehst du, Scherua, wir verfügen über Mittel, manchmal einzugreifen, wenn wir auf Unrecht treffen. Allzuoft darf es aber nicht geschehen. Und in deinem Fall waren wir gerade zugegen. Ich habe dir zwei… zwei Zeichnungen mitgebracht, die wir dort anfertigten – damit du siehst, daß ich wirklich dabei war.«
Er legte zwei Stücke eines dünnen Stoffes – steif und matt glänzend wie sehr feines, gehärtetes Leder – auf die Bank, jedes vielleicht drei bis vier Handflächen groß. Sie öffnete den Mund zu einem Schrei, brächte aber keinen Ton heraus. Ein unbegreiflicher Zauber hatte den Schloßplatz von Ninive auf diesen Stoff gebannt. Da, die Leibwache, die den König der Könige umgab! Und hier – Eriba-adad! Sie erkannte ihn sofort: das finstere Gesicht im schwarzen Bart; die prunkvoll gekleidete Gestalt, die Mütze der Herrscher von Assyrien auf den falschen Locken – alles so, wie sie es schreckensstarr gesehen hatte, als man sie zum Richtplatz führte.
Der Unsterbliche strich ihr wieder übers Haar. Er lächelte. »Du kannst es ruhig in die Hand nehmen.«
Nein, diesen Zauberstoff rührte sie nicht an, niemals! Dennoch konnte sie sich nicht davon losreißen. Daß jemand so gut zeichnen konnte!
War das… ja, das war ja sie! Ein schmales Mädchen in zerrissenem Kittel, von Bewaffneten umringt, wird zum Richtplatz geführt. Das Bild war zu klein, als daß sie die Gesichtszüge erkannt hätte; aber sie mußte es selbst sein, die man dort zum Tode führte – und sie lebte noch!
Auf dem zweiten Zauberbild fand sie sich an jenen Pfahl gebunden, wo die Urteile vollstreckt wurden. Hier erkannte sie sich wieder… schaudernd wandte sie sich ab und barg das Gesicht an Konrads Schulter.
Der Unsterbliche steckte die Zeichnungen wieder in eine Tasche seines weißen Mantels. »Das ist vorbei, für immer vorbei, im Staub versunken«, murmelte er und drückte sie behutsam an sich.
Scherua
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