Der Mann von Anti
sie mit
fühlend.
Konrad nickte langsam. »Das auch.«
Vor der Tür begann eine Treppe, die bis auf den Boden hinunterführte. Scherua lief rasch auf die großen, steinernen Platten – und stockte.
»Unser Wagen steht dort drüben«, sagte Konrad. »Es ist nicht
mehr weit.«
Am Ende einer unvorstellbar weiten steinernen Ebene erblickte Scherua einen riesigen Palast. Er ähnelte dem Haus der
Kranken, vielleicht hatte, derselbe Baumeister ihn erbaut. Aber
wie konnten die Götter mitten in Assyrien Paläste erschaffen,
ohne daß man davon in Ninive etwas gehört hätte?
Konrad öffnete die Wagentür und achtete darauf, daß sie sie
wieder schloß.
»Weil der Wagen so schnell ist, nicht wahr?« fragte sie, ein
bißchen stolz, weil sie die Sprache der Götter schon so gut
beherrschte.
Er lächelte. »Du sollst mir doch nicht hinausfallen. Es wird
heute noch genügend Überraschungen für dich geben.« »Gewiß«, erwiderte sie, nun wieder bedrückt.
Konrad lenkte den Wagen über die Steinebene auf einen breiten Weg. Diese Straße war auch in einem wunderbaren Zustand, so gut waren die Wege in Assyrien doch gär nicht!
Zweifellos war es noch weit bis nach Hause.
Dann aber näherten sie sich einem breiten Strom, an dessen
Ufern Palmen und dichtes Gehölz zu sehen waren. Scherua
blickte sich um, eine ungewisse Freude bemächtigte sich ihrer.
War das…?
Konrad nickte. »Ja, es ist der Tigris. Bis Ninive sind’s nur
noch ein paar tausend Schritte.«
Langsam hielt er den Wagen an. Vor ihnen am Ufer erhob
sich ein Hügel, auf dem Scherua eine Unzahl von verfallenen
Mauern, geborstenen Pfeilern und Sockeln erblickte, kreuz und
quer von Gräben durchzogen. Es sah aus wie… Nein, sie fand
nichts, was man damit hätte vergleichen können.
»Warum halten wir?« fragte sie nach einer Pause ängstlich. Konrad wandte sich ihr zu. »Du bist zu Hause. Das da war
einmal Ninive.«
Das Mädchen schaute erst ihn, dann den Hügel an. Der Gott
wollte sich über sie lustig machen!
»Ich kenne doch Ninive! Es ist eine große und schöne Stadt!
Den Berg da kenne ich nicht.«
»Gehen wir hin«, meinte er, ohne darauf einzugehen. »Sieh
dir alles aus der Nähe an.«
Von der Straße aus führte ein schmaler, aber sorgfältig in
Ordnung gehaltener Weg in das Gewirr von offenbar abgebrannten Häusern und Palästen. Ein Mann, der im Schatten einer Mauer gesessen hatte, erhob sich und kam auf sie zu. Ein breitrandiger Hut bedeckte den Kopf, so daß Scherua eigentlich nur den hellbraunen Bart sah. Er stellte in einer fremdartigen Sprache eine Frage, Konrad zeigte ihm etwas Metallenes, darauf nickte der Fremde, lächelte ihr zu, tippte mit den Fingern
an die. Krempe und ließ sich wieder im Mauerschatten nieder. »Der Wächter«, erklärte Konrad. »Jemand muß aufpassen,
daß nichts geschieht.«
Scherua folgte ihm schweigend. Das hatte sie ihm nicht zugetraut. Warum belog er sie, warum kränkte er sie?
Wohin wollte Konrad eigentlich? Er steuerte, das sah sie, einigen mächtigen Lehmmauern zu, die auf der Kuppe des Hü
gels lagen. Wenn das hier einst eine Stadt gewesen war, dann
hatte dort oben gewiß das Schloß gelegen.
»Hier müßtest du besser Bescheid wissen als ich. Hier lag der
Königspalast – und dort ist der Platz, wo du sterben solltest!« Scherua sah ihn vorwurfsvoll an und wandte dann gehorsam
den Blick in die gewiesene Richtung. Sie schrie auf. »Der Platz! Der Platz!«
Sie erkannte die Stelle nur zu gut wieder. Nie würde sie sie
vergessen können. Da drüben hatte Eriba-adad gesessen. Sogar
die Nische war da, in der sein Thron gestanden hatte. Und auf
den Stufen ringsum hatte die Leibwache gestanden. Entsetzt wich sie zurück. Konrad legte ihr den Arm um die
Schulter. »Sei ruhig – es ist ja alles vorbei!«
Dann war Ninive wirklich in Staub gesunken? Dann waren
wirklich all die Ihren verstorben – Eriba-adad, Nur-ili und ihre
Freundinnen aus der Küche?
Scherua blickte sich um. Ja, sie erkannte alles wieder, alles.
Sie ging durch den Nebeneingang in den Palast und zielsicher
in die Küchenräume. Nur Teile der Mauern standen noch,
manchmal nur so hoch wie ihr Knie, manchmal noch niedriger.
Ein Irrtum war nicht möglich, sie kannte jeden Stein! Hier hatte der Koch sie geschlagen, weil sie Wasser vergossen hatte;
dort hatte ein Posten sie getreten, weil sie ihn nicht gesehen
und nicht gegrüßt hatte; da war die Sache mit den Nüssen und
Nur-ili passiert.
»Siehst du, Scherua, das mußte ich dir zeigen. Du hättest es
nicht geglaubt,
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