Der Mann von Anti
berichten?« Major Grau trug ohne Verwendung schriftlicher Aufzeichnungen kurz seine Überlegungen vor: »Gegenüber dem Einsatz von Delphinen ergeben sich bedeutende Vorteile. Delphine bekommen nur ein Jungtier, die von unserem Institut mit Hilfe von Wuchshormonen auf eine Länge von zwei bis drei Metern gezüchteten Krebse aber legen pro Jahr einhundert bis dreihundert Eier. Und sie erreichen wahrscheinlich ein Alter von etwas über zwanzig Jahren. Beschädigte Teile, wie Fühler, Laufbeine, Scheren, Teile des Schwanzfächers und auch die Augen, werden durch Regeneration schnell und vollständig ersetzt, sie wachsen einfach wieder nach, wie bei einer Pflanze…«
Der Oberst unterbrach den Vortrag von Major Grau. »Sie haben sehr lange gebraucht mit Ihren Versuchen…«
»Wir hatten einige Anfangsschwierigkeiten mit dem Steuersystem, um den Wanderkurs der Krebse entsprechend unseren Wünschen umzusteuern. Außerdem war es nicht ganz leicht, eine günstige Angriffsbereitschaftsdroge für diese Tiere zu entwickeln. Aber alle Schwierigkeiten sind jetzt behoben…«
»Und ein neues Versuchsobjekt?«
»Das verbrauchte hat da einen… also ganz nach unseren Vorstellungen, ich habe die Angaben über diesen König prüfen lassen: arbeitslos, über fünfzig Jahre alt, keine Verwandten, niedriger Bildungsstand, wir werden keinerlei Schwierigkeiten haben. Ich habe das neue Objekt für morgen bestellt, Einstellung als Wächter wie bisher. Mit ihm könnten wir dem Herrn Generalinspekteur praktisch vorführen, wenn er selbst…«
Der Oberst schüttelte kaum merklich den Kopf.
Und nur deshalb fügte Major Grau wohl noch einige Worte hinzu: »Es ergeben sich da ganz neue Möglichkeiten, Herr Oberst! – Einsatz der Kampfkrebse in den küstennahen Gewässern des Gegners, billige Herstellung in großen Einheiten, Regeneration der beschädigten Teile. Beim Einsatz arbeiten wir wohl besser mit einer Drogengabe zur Selbstvernichtung. Die verwundeten und nicht mehr kampffähigen Krebse werden von der noch kampftauglichen Mannschaft einfach aufgefressen, wenn… wenn nicht eine Versorgung aus der Armee des Gegners erwünschter sein sollte.
Gegenüber dem technischen Gerät besitzen wir beachtliche Vorteile. Niemand kann nachweisen, daß wir die Hersteller der Großkrebse sind, nicht einmal durch genaueste Untersuchung von Materialproben…«
»… und wenn noch einzelne Tiere lebend in die Hände des Gegners fallen sollten?«
»Aber, Herr Oberst, die Abwehr des Gegners kann Menschen umdrehen! Aber Krebse? Ein Vorteil: Krebse reden nicht!«
Der Herr Oberst, ein sonst netter, sehr vornehm wirkender älterer Herr, ein Mann in seinen besten Jahren, überlegte einen Augenblick. Dann sagte er halblaut, so als redete er nur mit sich selbst: »Dann sparen wir also auch das gesamte Sanitätswesen, nicht nur das, sondern auch die rückwärtigen Dienste, dazu die Verpflegung, Ausrüstung, Uniformierung, Bewaffnung. Also ergeben sich da einige ganz neue Perspektiven. Ja, das will sehr genau durchdacht werden…«
Günter Kunert
Schlaf
De Quincey beschreibt, wie ein Malaye, dessen Erscheinung, ins Grauenvolle verzerrt, später den namhaften Opiumesser in seinen Alpträumen überfiel, im Jahre 1816 an die Hintertür seines Hauses in den Bergen pochte. Er wies den seltsamen Besucher ab, dessen Englisch so mangelhaft gewesen, daß nicht klar wurde, was er eigentlich verkaufen wollte. Aus den ausführlichen Hinweisen in de Quinceys Aufzeichnungen auf Gestalt und Gestikulation des Fremden geht jedoch klar hervor, daß der dem Literaten, von dessen Sucht er sicher gehört, irgendwelche Drogen anbot, was der Süchtige in seinem leichten Rauschzustand offensichtlich nicht erkannte. Mir fiel beim Lesen auf, daß die steckbriefhafte Beschreibung des ambulanten Händlers haargenau auf den Apotheker zutraf, der an der Ecke meiner Straße residierte. Er versorgte mich manchmal mit rezeptpflichtigen Medikamenten, insbesondere mit Schlafmitteln, sobald wir uns allein im Laden befanden, was ziemlich häufig der Fall war: die örtliche Menschheit schien sich bester Gesundheit zu erfreuen. So unterhielten wir beide uns über dies und jenes, meist aber über physiologische Phänomene, wie zum Beispiel – da er meine Schlaflosigkeit kannte – über den Winterschlaf gewisser Tiere, wobei ich bedauerte, daß uns Menschen etwas Gleichartiges nicht gegeben sei. Es wäre eigentlich angenehm, über längere unangenehme Zeiträume einfach hinwegzuschlummern, um ungealtert
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