Der Mann von Anti
nun nach zwei Dezennien über meine frühere Naivität den Kopf schüttelte, in der und indem ich mir hatte einbilden können, nach einem ausgiebigen Schlaf gäbe es ein anderes Erwachen als an vielen Morgen davor.
Gert Prokop
Der Tod der Unsterblichen
1
Brooker war gut informiert. Natürlich, wer sonst. Er kam Timothy nicht mit Geld. »Man hat mir gesagt«, so teilte er in seinem Hologramm mit, »daß ich Sie für kein Geld überreden kann, mich aufzusuchen. Andererseits verlasse ich selbst Harlington so gut wie nie, und auf keinen Fall würde ich zur Zeit nach Chicago kommen. Aber ich muß Sie sprechen. Das ist mein Angebot: eine Kiste 1982er Chateau Neuf. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, welche Überwindung mich dieses Angebot kostet. Also, wann kommen Sie? Geben Sie Patton Bescheid. Mein Helikopter holt Sie ab.«
Timothy verglich die Kontrollfrequenz, die unter der Nachricht lag, mit den Werten, die Brookers Sekretär ihm angekündigt hatte. Die Nachricht war echt.
Was, zum Henker, mochte Brooker von ihm wollen? Die United Chemical hatte ihre eigene Polizeitruppe und eine ganze Kompanie von Detektiven, und wenn Brooker mit dem kleinen Finger winkte, stand nicht nur die Polizei von ganz Indiana, sondern auch das FBI stramm.
Er überlegte, ob einer seiner Fälle Brookers Interesse erregt haben könnte, aber ihm fiel nichts ein, und dann hätte sich Brooker wohl kaum selbst darum gekümmert. Timothy ließ das Hologramm noch einmal abtasten, aber es enthielt keine weiteren Informationen.
Er rief Josuah Trevers an, einen der bestinformierten Leute. Joe war Hauptarchivar der ICC ∗ .
»Samuel S. Brooker will mich sehen«, sagte Timothy, »er läßt sich das sogar eine ganze Kiste Chateau Neuf kosten, 1982er!«
»Ich werde dir beim Trinken helfen, Tiny.«
»Okay. Was gibt’s Neues bei der United?«
»Der Präsident hat Brooker vorige Woche besucht.«
»Interessiert mich nicht. Was kann dem Bigboss Kummer bereiten?«
»Keine Ahnung, ihr Problem mit den Syndikaten hat die United gelöst, und sonst…«
»Was war das?« Timothy hatte sich aufgerichtet und hockte mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Sessel, die Hände auf die Oberschenkel gestützt.
»Du kannst dich ruhig wieder langlegen, Tiny«, beruhigte ihn Trevers. »Du hockst doch schon wieder im Schneidersitz, oder?«
»Ach, Unsinn«, knurrte Timothy und streckte sich aus. »Warum eigentlich Schneidersitz?«
»Soll ich das recherchieren? Vielleicht hieß der Mann, der ihn erfunden hat, Schneider. Sicher ein Deutscher. Was die alles erfunden haben. Aber du weißt doch sonst alles.«
»Napoleon«, korrigierte Timothy, »Napoleon muß alles wissen. Wozu hat man einen Computer. Also, was ist mit den Syndikaten?«
»Erledigt. Sie hatten den Chemietrusts neue Transporttarife diktiert, und die wollten sie nicht akzeptieren. Gestern haben sie akzeptiert. Nachdem ein halbes Dutzend Transporte in die Luft geflogen sind.«
»Was sonst?«
»Brookers Partner, Weaverly, ist vor kurzem gestorben. Sauerstoffnihilation. Blutkrebs.«
»Daran sterben Tausende. Was gibt’s in seinem Privatleben?«
»Zum fünftenmal verheiratet, mit der vorjährigen Schönheitskönigin, ein Sohn aus erster Ehe, Charles Benedict, der Kronprinz, und zwei Mädchen aus der dritten, Zwillinge; Hunde, eine ganze Zucht, ein Schloß bei Harlington…«
»Ein richtiges Schloß?«
»Sogar ein Original. Sein Großvater hat es aus Schottland kommen lassen, kurz vor dem Embargo. Du solltest ihn besuchen, allein das Schloß ist sehenswert.«
»Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, stöhnte Timothy. »Du weißt jetzt, wo man mich suchen muß, wenn ich verschwinde. Seid nett zu Napoleon. Er hat es verdient.«
Trevers lachte. »Deine Angst, aus deinem Bau herauszukriechen, ist grotesk. Wenn dir wirklich einer ans Leben will, nutzt es dir auch nicht, daß du dich in deinem Wolkenkratzer vergräbst. Fahr nach Harlington. Brooker soll eines der besten Klimas der Staaten haben.«
∗ ICC – Informations & Communications Company: eine der beiden großen Fernseh- und Nachrichtengesellschaften der Staaten.
2
Das Schloß war wirklich sehenswert. Timothy setzte sich auf, als der Helikopter die milchige Halbkugel der Klimasphäre durchstieß, die Brookers Landsitz überspannte. In der klaren Luft bildete das Altrot der Ziegel einen wie von Künstlerhand abgestimmten Kontrast zu dem satten Grün des Rasens und der Bäume; ein riesiger englischer Park umgab das Schloß bis zu dem kreisförmigen Wall, der
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