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Der Mann von Anti

Der Mann von Anti

Titel: Der Mann von Anti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ekkehard Redlin (Hrsg)
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Angst!« Er hielt mir einige Farbbilder hin, die wohl die Verkehrskontrolle angefertigt hatte. Andere – vermutlich zeigten sie mich – behielt er und steckte sie in die Brusttasche.
Das Auto war arg zertrümmert, es hatte sich gewissermaßen in den Baum verbissen. Ob… nein, auch mir war ja kaum etwas passiert! Es mußte gut abgegangen sein. Es mußte! Aber warum umging er dann eine konkrete Antwort?
»Wo ist meine… das heißt, wo ist Cora?«
Der Arzt hob wieder die Augenbrauen. Dann suchte er aus den Bildern eines heraus. »Hier – sieht nicht gut aus. Es dürfte sich kaum lohnen, etwas zu unternehmen.«
Sein Tonfall brachte mich fast zur Raserei. Kaum lohnen? Und das sagte ein Arzt?
Indes – das Bild war grauenhaft. Ihre goldblonden Locken verdeckten das Gesicht; vielleicht hatten auch nur mitleidige Hände sie darübergelegt. Der metallfarbene Rock blitzte flekkig. Trümmer stücke bedeckten sie, und ein Stahlteil war ihr tief in die Brust gedrungen.
»Aber Sie haben sie doch…«
»Wie immer. Wir warten ab.«
Es verschlug mir die Sprache. Worauf denn noch warten? Bis sie tot war? War er verrückt geworden, oder träumte ich?
»Schauen Sie sich das an«, bemerkte er, »eine Operation würde nicht ausreichen. Aufwand und Nutzen gegeneinander abgewogen – ich weiß nicht…«
Das Foto, auf das er deutete, zeigte ihren Kopf von hinten; ich wußte, das geschieht nur, wenn Chancen bestehen, den Verletzten zu retten. Der Schädel war geöffnet: eine sauber ausgeführte Trennung durch den Arzt. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ja… aber…!
Entsetzt starrte ich auf neuroelektrische Schaltkreise im Schädel und auf die Neuralfäden, die zu einem dreistufigen Direktor führten…
Ich sank auf die Kissen. Ein dreistufiger…
Ein schwarzes Meer schlug über mir zusammen.
Als ich wieder zu mir kam, saß der Arzt neben meinem Bett. Sein Blick hatte sich verändert, er schaute mich prüfend an, vielleicht auch mitleidig.
»Überlegen Sie es sich gut!« sagte er. »Wenn Ihnen an der Kleinen wirklich etwas liegt… ich meine, wenn Sie sie brauchen, verstehen Sie… In diesem Fall würden wir sie operieren. Aber bedenken Sie bitte auch unsere Sicht der Dinge: Die Operation kommt Sie teurer zu stehen als ein neuer Serienrobot – sogar erheblich teurer. Und vielleicht bleiben auch kleine Narben im Gesicht und am Körper zurück… Natürlich, wenn Ihnen daran gelegen ist, wir hätten Mittel dagegen – aber sie ist doch kein Mensch. Wozu der Aufwand?«
»Wo ist sie jetzt?« flüsterte ich.
»Im Kühlhaus, aber Sie können nicht hin. – Bedenken Sie bitte alles, und entscheiden Sie… ach ja, es gab schon einige solche Fälle. Immer waren die Leute vernünftig und verzichteten auf die Wiederherstellung.«
Er ging, und nun liege ich hier und denke nach.
Der Arzt hätte die Frage auch anders stellen können. Etwa so: Wollen Sie gar einen Robot heiraten? Sie sind wohl nicht recht gescheit! – Nett, daß er es nicht so deutlich sagte, aber damit hat er mir die Entscheidung gewiß nicht erleichtert.
Also – Cora ist kein Mensch. Damit muß ich erst mal fertig werden. Merkwürdig dennoch: Sie war doch ganz so wie andere Mädchen auch! Wenn ich in einem Vierteljahr nicht mal Verdacht schöpfte; wo doch gerade ich viel mit Neurohirnen zu tun habe! Ich hätte es als erster sehen müssen. Aber da war nichts. Oder doch?
An und für sich ist das Problem einfach… Unsinn, ganz und gar nicht einfach, es ist höchst kompliziert. Sage ich nein, herrscht Ruhe; niemand wird ein Wort darüber verlieren. Sage ich ja… so kann es nicht sein. So kann man die Dinge nicht betrachten! Es geht um völlig andere Fragen. Was hat mir Cora bedeutet? Kann sie mir überhaupt etwas bedeuten? Was soll ich darauf antworten? Darüber wurden ganze Romane geschrieben… Und ich soll hier und jetzt eine Entscheidung fällen?
Was sie mir bedeutet hat, ist eigentlich klar. Nein – wirklich? Hatte ich denn jemals versucht, ernsthaft darüber nachzudenken? Ich habe doch genaugenommen alles gehenlassen, wie es eben kam. Und jetzt, wo ich weiß, wer… nein, was sie ist, soll ich so tun, als wüßte ich über mich selbst bestens Bescheid? Als hätte ich ein Recht, über sie zu entscheiden, ein Urteil über Leben und Tod zu sprechen? Denn sie war doch lebendig wie nur irgendein… War sie es wirklich? Rede ich mir das nicht einfach ein, weil es bequemer ist…?
Nein, ich glaube, ich muß noch einmal anfangen. Vorn anfangen, ganz am Anfang…
    Alles begann wohl

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