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Der Mann von Nebenan

Der Mann von Nebenan

Titel: Der Mann von Nebenan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amelie Fried
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wie andere Menschen auch«, sagte Inge in einem Tonfall, als hätte sie diesen Satz schon unzählige Male gesagt und wüßte ohnehin, daß er keine Wirkung haben würde.
    »Was ist denn mit dir los?« fragte Kate erschrocken.
    »Na, was schon?« heulte Rita auf. »Der Scheißkerl macht wieder Überstunden!«
    Kate wußte nicht, von wem sie sprach, tippte aber auf Ritas Mann. Rita war ja, wenn Kate sich richtig erinnerte, die einzige, die einen hatte.
    »Noch«, wie Malise freundlicherweise bemerkt hatte.
    »Na, dann ist ja alles wie immer«, sagte Inge ungerührt. »Willst du ’n Stück Kuchen?«
    Rita antwortete nicht, drückte Kate das Baby in den Arm, und zog ein Taschentuch aus der Rocktasche, um sich zu schneuzen.
    »Ich fahre ins Studio. Könnt ihr euch um das Monster kümmern?«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand sie. Natürlich wieder durch die Büsche.
    »Wohin geht sie?« fragte Kate erstaunt.
    »Ins Fitness-Studio. Da vertrimmt sie Punching-Bälle. Dabei stellt sie sich vor, daß es ihr Typ ist.«
    Kate betrachtete das Baby auf ihrem Schoß. Es sah sie freundlich an und sabberte.
    »Kriegt wohl gerade Zähne, das Monster. Was ist es überhaupt, Junge oder Mädchen?« erkundigte sie sich.
    »Weiß nicht genau«, sagte Inge abwesend. »Mädchen, glaube ich.«
    Sie beobachtete den Flug einer Wespe; als das Insekt sich auf ihrer Stuhllehne niedergelassen hatte, erledigte sie es mit einem gezielten Schlag ihrer Kuchengabel.
    »Warum ist Malise eigentlich so komisch?« nahm Kate das Gespräch wieder auf.
    »Komisch? Ich finde sie nicht komisch. Nicht komischer als dich oder Rita.«
    »Ich meine, sie ist so kühl, so abweisend. Als hätte ich ihr was getan.«
    »Ach, Quatsch. Die ist zu allen so pampig, das meint sie nicht persönlich. Aber wenn sie dich liebt, geht sie für dich durchs Feuer.«
     
    Einer von Kates Kunden hatte sich gemeldet, er brauche eine Alt-Flöte in höchster Qualität.
    Endlich ein Auftrag! Kate atmete auf.
    Die Sache mit den Flötenstunden hatte sich zwar ganz gut entwickelt; sie unterrichtete inzwischen sechs Mädchen, aber zum Leben reichte das noch lange nicht. Voller Tatendrang betrat Kate deshalb ihre Werkstatt. Heute würde sie sich an die Arbeit machen!
    Vor ein paar Tagen hatte Nellis angerufen, und sie hatte ihm von Mattuscheks Besuch und der Sache mit der Nutzungsänderung erzählt.
    »Das ist doch wieder typisch!« hatte Nellis sich aufgeregt, »der versucht immer, Ärger zu machen. Habe ich dich nicht vor ihm gewarnt?«
    Kate war aus allen Wolken gefallen. »Ach, das bezog sich auf Mattuschek? Ich dachte, du meintest Malise! Mit der bin ich gleich am ersten Tag zusammengerasselt.«
    »Aber nein, Malise ist in Ordnung. Sie ist ein bißchen spröde, aber das ist nur Show.«
    »Mattuschek ist sehr hilfsbereit«, erzählte Kate, »ich hatte eigentlich das Gefühl, er will mir unnötigen Ärger ersparen.«
    »Du wirst überhaupt keinen Ärger kriegen, wenn er dir keinen macht«, hatte Nellis sie beruhigt. »Ich schicke dir einen Untermietvertrag mit der ausdrücklichen Erlaubnis, den Schuppen als Werkstatt zu benutzen. Kümmere dich nicht um Mattuscheks Gerede, und halte dich nach Möglichkeit von ihm fern.«
    Kate hatte es versprochen, und Nellis hatte ihr noch mal bestätigt, daß sie bis auf weiteres im Haus bleiben könnte. Nachdenklich hatte sie aufgelegt.
    Sie betrachtete ihre Hände. Ein paar Sommersprossen auf der hellen Haut des Handrückens, knochige Finger mit kurzgeschnittenen Nägeln. Schmale Handgelenke, kräftige Unterarme. Sie spannte die Muskeln, versuchte zu fühlen, ob sie schon wieder die Kraft und die Ruhe hätte, eine makellose Bohrung ins Holz zu treiben. Das war der härteste Teil der Arbeit; man mußte dem Druck der Maschine standhalten, durfte keinen Millimeter abweichen. Danach schmerzten ihre Arme oft tagelang.
    Sie prüfte das Holz, legte die Konstruktionszeichnung zurecht, bestückte die Drehbank mit dem Bohrer. Mit jedem Handgriff fühlte sie sich besser; die alte Sicherheit kam zurück. Es war, als sei sie nach langer Zeit in ein Haus zurückgekehrt, in dem sie sich zu ihrer eigenen Überraschung gleich wieder zurechtfand.
     
    Der Vormittag verging, ohne daß sie das Verstreichen der Zeit wahrnahm. Sie war in einem Zustand der völligen Konzentration, ja Kontemplation, den sie sonst nur beim Laufen erreichte.
    Erschrocken zuckte sie zusammen, als die Schuppentür aufflog und Samuel reinstürmte. Das Holz rutschte ab, der Bohrer drehte ins

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