Der Mann von Nebenan
keine Ahnung …«, grölte er, »… vierzehn goldene Schallplatten, ist das vielleicht nichts?«
Willi redete mit großer Geste auf König ein, der viel zu betrunken war, um zuzuhören.
Bobitt kam angelaufen und strich den Frauen schnurrend um die Beine. Kate erinnerte sich, daß er gefüttert werden mußte. Sonst kümmerte sich Samuel in vorbildlicher Weise um das Tier, sie hatte fast keine Arbeit mit ihm.
Beim Abschied erkundigte sich Olga: »Und wie lange willst du noch in diesem Kaff sitzen und deine Wunden lecken?«
»Ich lecke nicht meine Wunden«, verteidigte sich Kate. »Es geht mir wirklich gut hier draußen. Eigentlich immer besser.«
»Hier versauerst du doch«, widersprach Olga. »Männer lernst du auch keine kennen. Komm zurück in die Stadt, ich helfe dir bei der Wohnungssuche!«
»Ich will aber nicht. Mir gefällt’s hier.« Trotzig verschränkte Kate die Arme.
»Und der bekloppte Typ da drüben?«
»Ach, der ist doch ganz nett. Außerdem, irgendwann muß ich mir sowieso was Eigenes suchen, Nellis wird ja nicht ewig wegbleiben.«
»Na, dann … Aber sag später nicht, du hättest deine besten Jahre in diesem Mistloch vertrödelt.«
Kate winkte Olga nach, die ihren Sportwagen in rasantem Tempo Richtung Stadt lenkte. Der völlig betrunkene Sky König schwankte am Arm seiner Begleiterin um die Ecke.
»Willi ist ein Trottel«, lallte er.
»Seine Alte ist noch schlimmer«, bemerkte Pamela Anderson und schob ihn auf den Beifahrersitz seines Wagens. »Müssen wir noch mal hierher?«
»Was soll ich denn machen, wenn er uns fuffzichmal einlädt?« fuhr er sie an. »Bin schließlich kein Unmensch.«
Pamela knallte die Tür zu. Gleich darauf brauste sie, eine Staubwolke zurücklassend, aus dem Dorf.
Als Kate sich umdrehte, um ins Haus zurückzugehen, tauchte Gustav auf. Er zerrte eine riesige Mülltonne hinter sich her. Kate eilte ihm zu Hilfe.
»Warten Sie, das Ding ist sicher schwer.«
»Keiner denkt an die Tonnen«, beschwerte sich der alte Mann. »Gut, daß ich mich darum kümmere.«
Sie stellten die Tonne an ihren Platz. Gustav bedankte sich. Armer Kerl, dachte Kate und ging zurück ins Haus. Es muß furchtbar sein, wenn man nicht mehr gebraucht wird.
Draußen ertönte eine wütende Stimme. Kate hörte, wie Mattuschek den hilflosen Gustav anfuhr, weil er die falsche Tonne rausgestellt habe. Gleich darauf stand er mit einer Torte in ihrer Küche.
»Hier, Frau Nachbarin, schönen Gruß von Gudrun!« sagte er und stellte das Sahnemonstrum auf den Tisch.
»Warum sind Sie denn so unfreundlich zu dem alten Mann?« fragte Kate reserviert.
»Ach, der senile Depp!« Mattuschek machte eine abfällige Handbewegung. »Heute haben Sie was verpaßt!« prahlte er dann. »Haben Sie ihn erkannt? Sky König, der König des deutschen Schlagers persönlich!«
Kate verkniff sich einen Kommentar.
»Ein großer Künstler«, schwärmte Mattuschek. »Wir sind seit langem befreundet. Leider ist er so beschäftigt, daß wir uns selten sehen.«
»Danke für den Kuchen«, sagte Kate und hoffte, er würde wieder gehen.
»Bitte, bitte. Und nächsten Sonntag kommen Sie zu uns zum Mittagessen«, fuhr Mattuschek in einem Tonfall fort, der keinen Widerspruch duldete. »Ihren Jungen bringen Sie mit. Gudrun freut sich schon!«
Kate brachte es nicht übers Herz, die Einladung abzulehnen.
Statt dessen hörte sie sich sagen: »Ja, gerne, das ist aber nett.«
Sie verfluchte ihre gute Kinderstube.
Als er weg war, probierte sie von der Torte. Pfui Teufel, viel zu süß. Sie schnitt ein Stück für Samuel ab, der so was liebte, und spülte den Rest ins Klo.
Abends kuschelten sie auf dem Sofa. Kate hatte Samuel im Arm, und Samuel hatte Bobitt im Arm. Kate spürte nicht, wo sie aufhörte und Samuel anfing.
Sie fragte sich, wie er zusammengesetzt war. Welche Teile von ihr stammten, welche von Bernd, welche von ihren Eltern und Großeltern. Sie suchte seit dem Tag seiner Geburt das Vertraute in ihm. Das, was einen Zusammenhang mit ihr hatte. Und war jedesmal überrascht, daß ihr Sohn ein ganz und gar eigenständiges Wesen war. Ein Wesen, das in diesem Moment gnädig ihre Umarmung zuließ, eine große Ausnahme, sternschnuppenselten.
»Mam, bist du eigentlich gern alleine?« fragte Samuel in die Stille hinein.
»Es geht so«, antwortete Kate wahrheitsgemäß.
»Bist du manchmal einsam?«
»Was ist der Unterschied?« wollte Kate erstaunt wissen.
»Na ja, alleine sein kann ja ganz schön sein. Aber einsam ist man, wenn
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